Erzählungen gegen das leichte Vergessen
In seinem Film Erinnerungen an ein verlorenes Land ist der
Regisseur und Kameramann Manfred Neuwirth auf Spuren- und Bildersuche
nach einem bis vor kurzem noch unbekannten Stück österreichischer
Geschichte gegangen: Lange Zeit ein ,,weißer Fleck" (auf
der Landkarte ebenso wie im Wissen um seine nicht gerade erhebende
Vergangenheit), ist der niederösterreichische Truppenübungsplatz
Allentsteig erst im Verlauf der letztjährigen Erinnerungsbemühungen
ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt.
Nur kurze Zeit nach Hitlers Machtübernahme wird aus dem Gebiet
um Döllersheim ein umfangreiches Militärgelände.
Mehr als 40 Dörfer werden zerstört, 7.000 Menschen umgesiedelt.
Nach 1945 fällt das Gebiet unter sowjetische Verwaltung und
wird 1957 in nahezu unveränderter Größe vom österreichischen
Bundesheer übernommen. Eine Wiederansiedlung ist seitdem ebenso
erfolglos geblieben wie die angemessene Entschädigung der in
einer späteren Phase umgesiedelten Bauern.
Im Vordergrund des Films stehen die Erinnerungen der damals Betroffenen
- ein Erzählen von Geschichten, das nicht zuletzt eine Korrektur
der offiziellen Historiographie ergibt. Ohne ergänzenden Kommentar
und mittels zurückhaltender Montage gibt Regisseur Neuwirth
den, zum Teil in hohem Alter stehenden, ehemals Ausgesiedelten das
Wort. Den in der Öffentlichkeit Sprachlosen wird so zumindest
eine Art später Rehabilitierung zuteil.
Erinnerungen an ein verlorenes Land ist jedoch kein rührseliges
Erinnerungsalbum, es werden keine späten Tränen der Trauer
oder Wut vergossen: Für die meisten ist die Umsiedlung eine
Sache, die der Vergangenheit angehört. Es ist die Lust an der
Erinnerung, die spürbar wird; es sind die zahlreichen, farbigen
Schilderungen des Vergangenen, die den Film vorantreiben. ,,Um eine
Flasche Schnaps für die Besatzungsmacht hat man damals einen
ganzen Bauernhof abtragen können", sagt einer und spielt
auf den blühenden Schwarzmarkt mit Baumaterialien nach Kriegsende
an.
Mit dem Resümee ,,Wir haben die Deutschen gehabt, wir haben
die Russen gehabt, aber die Österreicher waren die größten
Lumpen" wird noch einmal die gesamte Entwicklung dieser Landschaft
umrissen - denn durch die Manöver des Bundesheeres (,,mit Wonne
wurde dort herumgeschossen") ist sie schließlich zur
Gänze ,,in den Kultivierungsgriff gekommen", wie sich
ein Truppenausbilder im Film ausdrückt.
Das Fragmentarische der Erzählungen wird auch vom Film übernommen
und geschickt zu einer Chronologie der Ereignisse verbunden. Jedes
Gespräch erhält so exemplarischen Charakter. Man mag sich
daran stoßen, daß Erinnerungen an ein verlorenes Land
in erster Linie ein ,,gesprochener" Film geworden ist und auf
den Einsatz von filmeigenen Mitteln weitgehend verzichtet.
Tatsächlich vermittelt die filmische Erzählung in jener
Szene ihre pointierteste Aussage, als durch eine raffinierte Montagefolge
eine zeitgenössische Fotografie buchstäblich zum Tanzen
gebracht wird und den Zusammenhang von Anpassung der Einheimischen
und Vereinnahmung durch die Nazis aufscheinen läßt.
Man sollte den Film vor allem als ein beinahe ethnographisches
Dokument begreifen, das sich nicht als ,,Film gegen das Bundesheer"
versteht oder mit dem ökologischen Zeigefinger droht. Mit vorteilhaftem
Abstand zum offiziösen Besinnungsrummel des letzten Jahres
ist Neuwirths Film eine der wenigen wirklich erinnernden Erinnerungen
geworden. Und das ist nicht wenig.
Constantin Wulff, Der Standard
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