Meteoritentheorie

Bei der Diagonale wurde dieser Film vergangene Woche bestaunt, als wäre er eine Art Fundstück aus dem All, ein auf die Erde gefallenes, unerklärlich geformtes Objekt von gleichsam außerirdischer Faszination. Tatsächlich sieht ,,Aus einem nahen Land“, die jüngste Produktion des Video-Konzeptkünstlers Manfred Neuwirth, meteoritisch aus, jedenfalls so fremdartig, dass sie mit Kategorien wie Dokumentar- oder Essayfilm kaum zu fassen ist; am ehesten denkt man wohl noch an James Bennings doku-avantgardistische Raum- und Zeitstudien, aber auch damit kommt man Neuwirths Kunst nur wenige Schritte näher. Sie gilt hier dem zwischen Arbeit, Freizeit, Gottesdienst und Naturkontemplation gespannten Alltag einer Kritzendorfer Weinbauernfamilie, zeigt Impressionen von Dorffesten, der Traubenernte, dem Hantieren mit den Weinstöcken, aber auch meditativere Betrachtungen eines Holzstapels, eines Kornfelds, eines winterlichen Weges. Die strenge Gestalt dieses Wahrnehmungsexperiments ist Teil seiner mitunter rätselhaften Wirkung: Aus 24 komplex komponierten, sorgsam voneinander getrennten, in sanfte Zeitlupe gesetzten Kamerafahrten zu je drei Minuten ist ,,Aus einem nahen Land" gebaut, die Originaltöne sind da und dort um Christian Fennesz' subtile klangliche Eingriffe erweitert. Neuwirth erklärt nichts, er zeigt, lässt hören und stellt Fragen, etwa jene nach dem Off, dem klingenden Raum jenseits der Kamera. Auf Schienen durchquert, öffnet und mobilisiert die Kamera die Bilder, immer erst nach links, dann in die Gegenrichtung, zurück an den Start. Die zeitliche Dehnung der multiperspektivisch angelegten Panoramen akzentuiert das Mythische und die Unheimlichkeit manch ländlich-religiöser Rituale, während man die Farbtricks, die Ver- und Enthüllungsspiele des natürlichen Lichts studieren kann: Am Ende laufen alle Manöver Neuwirths auf eine Schärfung der Sinne, der Weltwahrnehmung hinaus.

Stefan Grissemann, profil