Asuma |
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Dabei wird die dokumentarische Arbeit zusehends raffinierter, beginnt, neben Cinéma Vérité und „Ohne Maulkorb” andere, dritte Wege zu suchen: Lampalzer/Neuwirth/Deutsch demonstrieren 1982 in Asuma erstens, daß die Wege der Wirklichkeitsaufzeichnung nicht immer den Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu folgen hat – und daß zweitens das Soziale und die Kunst bisweilen eben doch zusammengehen. Das Protokoll einiger entspannter Arbeitstage mit jungen behinderten Menschen – im Rahmen eines Projekts in Luxemburg – kommt, wie übrigens die meisten dokumentarischen Unternehmen der Medienwerkstatt, ohne pädagogischen Kommentar und ohne journalistische Akribie aus. In Asuma, einem impressionistischen Band, geht es weniger um die schnelle Erfaßbarkeit als ums Zuhören und Zuschauen. Dabei erleichtern die Filmemacher den Zugang keineswegs: Die Arbeit der Dechiffrierung ist vom Zuschauer selbst zu leisten, Bedeutung drängt sich hier nicht auf.
Asuma macht beispielsweise zwischen Betreuern und Betreuten keinen Unterschied, zeigt vielmehr, daß die Grenzen von behindert zu nichtbehindert sehr leicht zu verwischen sind. Und die Kunstarbeit selbst vollzieht sich in diesem Band auf vielen Ebenen zugleich: Die Videoaufzeichnung begleitet als Kunstmittel die kreativen Selbstdarstellungen der Behinderten und behandelt sowohl die manuelle Arbeit in der Werkstatt als auch die konkrete Poesie, die Lautmalereien und die Klangmaschinenmusik der Projektteilnehmer mit dem gleichen, seltsam unerschütterlichen Stoizismus. Ein zweites, wenig später entstandenes (und von derselben Besetzung inszeniertes) Band, genannt Wossea Mtotom – Die Wiese ist grün im Garten von Wiltz, gelingt noch einmal das Kunststück, in ganz selbstverständlichen Bildern von leider nicht selbstverständlichen Utopien zu erzählen: von der fruchtbaren Zusammenarbeit behinderter und nicht-behinderter Künstler in der luxemburgischen Natur, von der Ineinssetzung von Kunst, Leben und Arbeit.
Die Zeit seiner Entstehung dringt in Asuma ohne große Kunstanstrengung durch die Bilder und Töne: Einige der Arbeitsabläufe, die Asuma dokumentiert, werden von Musik begleitet, die aus einem nebenbei laufenden Radio zu stammen scheint und den Klang einer (von den späten neunziger Jahren aus betrachtet) längst vergangenen Zeit in sich trägt. Der synthetische Amateur-Pop der Neuen Deutschen Welle der frühen achtziger – genauer: Andreas Doraus „Fred vom Jupiter” – piepst kindlich im Hintergrund an den Bildern eines nur unter Laborbedingungen realisierbaren gesellschaftlichen Idealzustandes (von der ungezwungenen Kooperation zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten) vorbei. Das Sozial-Utopische des Unterfangens Asuma wird auf diese Weise, durch die Präsenz dieses scheinbar ganz unpassenden Songs, noch reicher: Die naive Science-fiction des deutschen Pop korrespondiert hier, im Assoziationsverfahren, mit den schönen, märchenhaft-futuristischen Phantasien („Die tollen Menschen auf dem Mond”) manches Amateurkünstlers.
Stefan Grissemann, Blimp 39