Vom Leben Lieben Sterben – Erfahrungen mit Aids |
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Sterben, lieben, leben
Intelligent und bewegend: Hiller/Neuwirths Dokumentarfilm über persönliche Erfahrungen mit Aids.
Walter Benner ist vor der Fertigstellung des Videofilms Vom Leben Lieben Sterben an Aids gestorben. Um seine Krankheit wissend, sagt er vor laufender Kamera: „Ich weiß zwar, daß jeder sterben muß, aber derweil tun es einmal nur die anderen.” Die anderen, das sind immer die, über die man erzählt (bekommt). In diesem Fall aber gehört der Erzähler selbst zu jenen anderen, und der Zuschauer verspürt, daß dieser Mann das gleiche empfindet wie die Krankenschwester auf einer Aids-Station: „Ich hätte überhaupt keine Lust, jetzt zu sterben.”
Zwanglos erzählen fünf Personen über ihre Erfahrungen mit einer Krankheit, die sie am eigenen Leib oder durch ihr Zusammenleben mit Aids-Kranken gemacht haben. Ihr Sprechen gestaltet sich von selbst: Keine Interview-Fragen, keine komponierten Gedanken und Sätze, keine Effekt-Dramaturgie. Walter Hillers und Manfred Neuwirths Film ist somit auch keine weitere Inszenierung eines Themas, das gerade durch seine mediale Präsenz immer mehr in ein unheimliches Jenseits gerückt wird: Der dezente Stil läßt die bloße Gegenwart der Erzählenden zum konkreten Ort werden - wo das angsteinflößende andere die vertrauten Züge des „Normalen” annimmt.
Es gibt nichts Neues in diesem Film; was man von den Erzählern zu hören bekommt, ist nur die persönliche Variante bekannter Geschichten: vom lähmenden Entsetzen bei der Vernahme des diagnostizierten Todesurteils bis zur Auseinandersetzung mit dem Sterben und einem Leben, das fortan von dieser zynischen Laune des nahenden Todes gezeichnet ist. Vom Leben Lieben Sterben ist trotzdem kein Schicksalsdrama. Schon die Gelassenheit der Interviewten erzeugt eine Atmosphäre, die jede Scheu bei der Annäherung an ihr Schicksal vertreibt. Andererseits aber verhindert ihre Schonungslosigkeit den trügerischen Momentwunsch des Problemkonsumenten, allen Aidskranken etwas Gutes tun zu müssen.
Gegen das Gefühl, daß es immer die anderen sind, die sterben, wird dieser Film ebenso wenig ausrichten wie die gutgemeinten Mahnkampagnen. Im Gegensatz zu diesen jedoch hinterläßt Vom Leben Lieben Sterben den traurigen, aber keineswegs fatalen Eindruck, daß auch direkt neben einem gestorben wird.
Robert Buchschwenter, Die Presse
Leben, lieben, sterben: Nahaufnahmen und infizierte Videobilder
Von „guten Freunden”, die sich unter dem Vorwand der Sorgepflicht für (längst verstorbene) Großmütter entschuldigen lassen, wenn sie „davon” erfahren;
von Familien, die sich erst bei der Aufteilung der Erbmasse am Sterbebett verstoßener Kinder versammeln, und anderen, die nur mit Mühe dem Mißtrauen ihrer Nachbarschaft widerstehen;
von Hilfestellung, die nicht selten von unerwarteter Seite kommt; von Abgrenzungen und „hygienischen Maßnahmen”, deren Sinn bezweifelt werden muß, und auf die man bei Menschen, die man gern hat, ohnehin verzichtet; vom unausweichlichen Ende, das man im Hinterkopf immer den anderen überlassen möchte.
Vom Leben Lieben Sterben, ein österreichisches Dokumentar-Video von Walter Hiller und Manfred Neuwirth, enthält sich, wenn es diese und andere Facetten von Aids porträtiert, jeglichen Betroffenheitsjargons.
Fünf sprechende Gesichter, ein Infizierter und vier mittelbar Betroffene in statischen Nahaufnahmen, die dem konzentrierten Zuhören und Hinsehen nichts in den Weg stellen, fünf - meist sehr vital vorgetragene - Blickwinkel: Hier ist kein Platz für kunstvolle, künstliche Arrangements, mit Hilfe derer aus der allgemeinen Ratlosigkeit süffige Bilder entstehen. Oder reißerische Schlagzeilen, die letzten Endes die Opfer in Mißkredit bringen.
Er wurde sich wünschen, daß man nicht mehr von einer „Seuche” rede, sagt dementsprechend ein Hinterbliebener: Eine „tödliche Krankheit” gelte es anzunehmen, aus deren Diagnose man sich ebensowenig in beschönigende Umschreibungen flüchten müsse wie aus dem Krebs.
In wenigen Momenten nur, zwischen den Interview-Blöcken, wenn langsame Überblendungen schmutzige Fensterscheiben mit Stein- oder Grasflächen infizieren, gibt dieser Film seine prosaische Konzentriertheit auf.
Es sind dies dann weniger störrische als störende Brüche in einem spröden Gefüge verweigerter Spekulationen, das ansonsten seinen Kinoeinsatz mehr als rechtfertigt: Auf daß die Betrachter innehalten vor dem Magnetismus der Leinwand, um nachher umso vehementer in Bewegung zu geraten, Distanz zu verringern.
Claus Philipp, Der Standard
Vom Leben, Lieben, Sterben
Die persönliche Betroffenheit über die Krankheit Aids war der Auslöser für die beiden Filmemacher Walter Hiller und Manfred Neuwirth, diesen berührenden Film zu machen: Fünf Menschen erzählen darin Geschichten. Sie tun dies mit größter Gelassenheit und gleichzeitig höchster Konzentration. Und nur sie sind wirklich kompetent, darüber zu reden. So teilen sie ihre Erfahrungen mit, die sie mit der Krankheit am eigenen Leib oder am Leib eines anderen gemacht haben. Die beiden Filmemacher Hiller und Neuwirth zu ihrem Film: „Schlimmer als jede Verfolgung ist das Totschweigen und die damit verbundene Verdrängung. Aids ist eine Zäsur für jeden, der damit in Berührung kommt, auch wenn er nicht krank ist.”
täglich alles
Vom Leben, Lieben, Sterben
AIDS ist längst ein Thema für die Kunst geworden, es gibt inzwischen exzellente, berührende Filme darüber („Longtime Compagnion” war vielleicht der beste). Doch vielleicht hat gerade die künstlerische Umsetzung bewirkt, daß die Problematik damit in Schönheit verfremdet wurde.
Walter Hiller und Manfred Neuwirth rücken uns hingegen mit AIDS auf den Leib, zeigen nicht weniger als das Gesicht "der Krankheit. hier und heute, bei uns in Österreich. Fünf Gesprächspartner (von denen einer, ein Erkrankter, mittlerweile gestorben ist) berichten kunstlos von ihren Erfahrungen, die Helfer ebenso wie die Betroffenen. Und deutlicher als in jeder ergreifenden Filmstory zeigt die Geißel unserer Zeit ihr Gesicht, manifestiert ihre Urängste und Verdrängungen, so wie sie sich im Alltag abspielen. In unserem Alltag. Hier und heute.
Kronenzeitung
Leben mit AIDS
Über den Dokumentarfilm „Vom Leben Lieben Sterben” von Walter Hiller und Manfred Neuwirth.
Drei Männer und zwei Frauen erzählen über AIDS. Über die eigene Krankheit, über Erfahrungen mit Freunden und Patienten, über Reaktionen von Familienangehörigen. Sie sitzen in ihrer Wohnung, sprechen unaufgeregt, entspannt, die Orte des Leidens (Spital, Arztpraxis etc.) samt dazugehörigem Inventar bleiben ausgespart. Nähe stellt sich in Millers und Neuwirths Videofilm ausschließlich über Worte und Gesten her und - so paradox es scheinen mag - durch die strenge Form der Inszenierung in der Distanz.
„Vom Leben Lieben Sterben” ordnet die Gespräche nach folgendem Prinzip: Die Personen erzählen alternierend, durch Schwarzkader voneinander getrennt, jedes Segment ist in sich abgeschlossen und ungeschnitten. Die Interviewer sind nicht zu sehen, es gibt keine Zwischenfragen, keine atmospheric shots. kein OFF-Kommentar. Die Kamera verharrt bewegungslos auf ihrem Platz, enthält sich der beliebten TV-Zooms.
Wir schauen Menschen beim Reden zu, beim Reden über Geh-, besser: Lebensversuche in einem weithin unbekannten Territorium namens AIDS. Sie erzählen, wie sie ihr Leben durch die Krankheit ändern mußten, wie ihnen Freunde aus dem Weg gingen und Jobs vereitelt wurden, wie sie HIV-Positive betreuten und Beziehungen zu ihnen aufbauten. Es sind nicht Geschichten, die auf wohlfeile Art betroffen machen; Hillers und Neuwirths Umgehen mit den Befragten zeichnet sich durch Zurückgenommenheit aus, durch vorsichtiges Herantasten: als ob durch den Blick auf ein fremdes Territorium sich erst nach und nach jene Vertrautheit einstellen möge, die dem Filmemacher/Zuschauer erste eigene Schritte in dieses Territorium ermöglicht.
Als Abgrenzung zu diesem Gebiet lassen sich drei einander ähnliche Einstellungen lesen, die aus dem Schema „Redende(r)” herausfallen und den Film an verschiedenen Stellen unterbrechen: der Blick aus einem Zimmer durch ein Fenster ins Freie, draußen erkennt man Blätter. Das Bild verschwimmt langsam, Konturen lösen sich auf, ganz leise ein schwingender Ton. Drei Pausen, drei Bildskizzen zum Innen und Außen, zu Nähe und Distanz, die einzigen Momente von „Kunstfertigkeit” in einem Dokumentarfilm, dessen größte Zier seine mit Bestimmtheit vorgetragene Behutsamkeit ist. Deutlich wird das am Interview mit Ernst Paar, der in witziger, fast kabarettistischer Manier die Feigheit und Heuchelei ihm gegenüber beschreibt, nachdem sein Freund gestorben war. Wortreiche Kostbarkeiten, die doch von Hiller und Neuwirth beschränkt wurden - um den Film nicht unangemessen aus dem Gleichgewicht zu kippen. „Vom Leben Lieben Sterben”: Etwas wird sichtbar in den individuellen Schicksalen; es gibt viele Geschichten über AIDS, auf den Nenner einer einzigen Geschichte bringen lassen sie sich nicht. Zum Glück.
Christian Cargnelli, Falter