Magic Hour |
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Mit seiner neuesten Arbeit „magic hour” hat der Film- und Medienkünstler Manfred Neuwirth seine einzigartige Trilogie der Zwischenräume vervollständigt. Der Titel der Trilogie bezieht sich auf das japanische Konzept des [ma] - des Zwischenraumes zwischen Gegenständen und Aktivitäten. In Japan wird dieser Zwischenraum als „voll von nichts” definiert. Die an Tagebuchaufzeichnungen erinnernden Videos führten Neuwirth von Tibet über Japan schließlich nach Niederösterreich. Mit der Montage von Surroundsound-Originaltönen und Zeitlupenbildern fängt er das Persönliche und das Alltägliche mit seltener Poesie ein.
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Manfred Neuwirths „Trilogie der Zwischenräume” findet, nach „Tibetische Erinnerungen” und „Manga Train”, mit „Magic Hour” einen würdigen Abschluss.
„Ich weiß, was, ich weiß, was, ich weiß, was dir fehlt: ein Mann, der dir keine Märchen erzählt ...” Man hört die alte Schlagermelodie, von einer Ziehharmonika intoniert, sieht dazu in Großaufnahme, wie sich das Instrument zusammen- und wieder auseinander zieht - deutlich verlangsamt allerdings, als wollten Bild und Ton nicht so recht zusammengehen. Eine von 54 in sich abgeschlossenen Einstellungen, die als Ganzes einen Kosmos der Erinnerung bilden, eine „Magic Hour”, wie Manfred Neuwirth seinen neuen (Video-)Film genannt hat, in Anlehnung an jene Zeit zwischen Sonnenuntergang und Dunkelheit, in der, wie der große Kameramann Nestor Almendros einmal meinte, „das Licht für ein paar Minuten wirklich zauberhaft ist, weil niemand weiß, woher es kommt”.
Neuwirth weiß, woher er kommt. Was er sehen und hören lässt, stammt ausschließlich von einigen wenigen Schauplätzen seiner engeren Heimat Niederösterreich. Er sucht sie auf als Dokumentarist, der Orte der eigenen Erinnerung nicht nostalgisch wieder zu beleben sucht, sondern einem Prozess der Verfremdung unterzieht: Ton und Bild bleiben in einer Einstellung zusammen und klaffen doch, was ihr jeweiliges Tempo betrifft, auseinander. Auf einfache Weise entsteht so eine Differenz, die das, was ganz privat, ganz persönlich war, förmlich entrückt: Was nah war, wird fern und dadurch wieder neu erfahrbar, im dialektisch-dichten Spiel von Rhythmus und Assoziation.
Dabei gelingen Neuwirth immer wieder Momente von betörender Schönheit; etwa wenn ein Feuerwerk mit Getöse, aber ganz langsam vom nächtlichen Himmel herniederregnet: als würden Lichtspuren in Zeitlupe an einer Fensterscheibe herunterrinnen. Im Übrigen, so Neuwirth, sei es ihm schon ein Hintergedanke gewesen, die Betrachter womöglich mit Erfahrungsbildern der eigenen Biografie zu „erwischen”, also bei aller „Gebrochenheit” seines filmischen Vorgehens „direkt” zu erreichen. In meinem Fall funktionierte das jedenfalls ganz ausgezeichnet.
Als die Kamera einmal zu heftigem Glockengeläut stark verlangsamt über das Steinmuster des zu imaginierenden Kirchenplatzes glitt, setzten sich die Elemente des Bildes zur Erinnerung an Familienausflüge aufs Land in den Siebzigern zusammen - ein Déjà-vu, das sich nicht zuletzt jener bewussten Abstraktion, jener spezifischen Erforschung kinematographischer Zwischenräume verdankt, die Neuwirths Arbeiten seit Jahren so außergewöhnlich machen: Sie reichen über das bloß Individuelle weit hinaus, setzen es beständig in Bezug zum größeren gesellschaftlichen, mithin politischen (siehe etwa den AIDS-Film „Vom Leben Lieben Sterben”) Ganzen. Mit anderen Worten: ein (Video-)Kino des emanzipierten Blicks, vom Privaten zum Allgemeinen und wieder zurück.
Christian Cargnelli, Falter