Manga Train |
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Neuwirths MANGA TRAIN (21') besteht aus 30 kurzen, in Japan gedrehten Szenen, die mittels Zeitlupe von einer ursprünglichen Länge von jeweils acht auf 40 Sekunden gedehnt wurden. Die Kamera ist zumeist, aber nicht immer, unbewegt. Der O-Ton läuft im Gegensatz zum Bild in Normalgeschwindigkeit ab, wodurch eine ganz besondere Spannung entsteht, die die räumlich nahen Bilder zuweilen in die distanzierte Sphäre der Erinnerung taucht. MANGA TRAIN praktiziert ein vorsichtiges, zurückhaltendes Schauen in einer fremden Kultur, inszeniert dabei aber keinen olympischen Lumière-Blick, sondern präsentiert zumeist subjektiv ausgewählte Details. Diese Close-ups erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität, wollen sich nicht als irgendwie bestimmtes oder eindeutiges Japanbild aufdrängen. Neuwirth konfrontiert uns mit einem „persönlichen filmischen Album”, aus dem man beim Zusehen selbst auswählen und sich ein eigenes Bild machen kann. Der Film beliefert nicht mit Erklärungen, sodaß manches ohne zusätzliche Information durchaus unverständlich bleiben kann. Zumeist sieht man jedoch Alltägliches und vermeintlich Vertrautes („Sumo, Sushi, Surround Sound”, Michael Omasta). Daß Neuwirth das „Bekannte” durch seine spezielle Wiedergabe für ein erneutes Hin-Sehen zu öffnen vermag, ist eine der Qualitäten seines Films. Nicht zuletzt enthält MANGA TRAIN auch „leere” Szenen, in denen die Aktivität, die am gezeigten Ort zu einer anderen Zeit oder zur selben Zeit, aber in der Hauptsache außerhalb des Bildraumes stattfindet, nur durch die Tonspur vermittelt wird.
Thomas Korschil, In: Meteor Sondernummer Diagonale 1998
Japanische Erinnerungen
1998 feiert die Medienwerkstatt Wien ihr 20 jähriges Bestehen: diese Woche mit der Wien-Premiere von Manfred Neuwirths Kurzfilm „manga train”.
Kurze Abblende, kurze Aufblende: Schwarzfilm, jeweils eine Sekunde lang, teilt den Film in dreißig Einstellungen auf. Die Analogie zu einem „Fotoalbum” ist durchaus gewollt: Wie die einzelnen Bilder dort für gewöhnlich alle dasselbe Format haben, bleibt hier die Länge der Einstellungen immer gleich. Acht Sekunden Film, reproduziert in fünffacher Zeitlupe (davon nicht betroffen ist der Ton; er läuft in normaler Geschwindigkeit, freilich aber nicht mehr synchron zu den Bildern ab).
Dieses Konzept hat Manfred Neuwirth schon vor drei Jahren, beim Schnitt seines Films „Tibetische Erinnerungen”, entwickelt - ein ästhetisches Ordnungsprinzip, das sich von seiner zumeist spontan auf zufällige Begebenheiten und Eindrücke reagierenden Art zu filmen deutlich abhebt. Erklärt wird auch in „manga train” nichts, der emotionale Kontext muß stimmen: Straßenszenen, der Blick auf eine halbverwitterte Lehmwand in einem Zen-Steingarten, eine Pachinko Halle, das Eröffnungsritual bei einem Sumo-Ringkampf eine Familie am Strand, junge Frauen beim Verlassen eines Bahnhofs, das Fallen von frischgeschnittenen Blättern in einer Gartenanlage, ein Auto-Werbespot im Fernsehen, satt-grüne Landschaft hinter dem leicht beschlagenen Fenster eines fahrenden Zuges. Die Bilder des Films, alltägliche Momentaufnahmen. hat Neuwirth in Tokio, Osaka, Hakodate und Kyoto aufgenommen: Manche bleiben unverständlich, die meisten aber werden erst durch den Ton expliziert. Dem Filmemacher geht es nicht darum, etwas gleichsam, „von einer Kultur in eine andere rückzuübersetzen”, denn wenn man sich die Mühe macht, richtig hinzuschauen, sind Tibet oder Japan ungefähr genauso nah oder fremd wie, sagen wir, das obere Waldviertel. In diesem Sinn ist „manga train”, wie alle Arbeiten Neuwirths, auch weniger Dokument einer Reise als ein Film übers Dasein.
Die Gründung der Medienwerkstatt anno 1978 war Resultat jener Aufbruchsstimmung der Wiener „Subkultur”, die - wie bekannt - unter anderem auch die Entstehung des hierzulande ersten kommunalen Kinos (ZClub) oder einer gewissen alternativen Stadtzeitung (Falter) begünstigt hatte. Manfred Neuwirth 44, gehört zu den Gründungsmitgliedern dieser Videoproduktions- und Verleih-Kooperative und arbeitet seit jeher abwechselnd als Kameramann, Cutter und Regisseur im Bereich zwischen Avantgarde- und Dokumentarfilm; zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen „ASUMA” (mit Gerda Lampalzer und Gustav Deutsch, 1982), „Erinnerungen an ein verlorenes Land” (1988), „Vom Leben Lieben Sterben - Erfahrungen mit Aids” (gemeinsam mit Walter Hiller, 1993) und „Tibetische Erinnerungen” (1995). Wie schmal dieser Bereich ist, kann man nicht zuletzt daran ermessen, daß die Mehrzahl der genannten Filme zwar auf Video gedreht, ihr Erfolg aber vor allem übers Kino gemacht wurde.
Auch „manga train” ist da keine Ausnahme, allerdings schon für die Vorführung auf großer Leinwand gedacht. Der Rhythmus des Films wird vom Ton bestimmt, einem ständigen Wechsel zwischen Laut und Leise, Sprache und Geräusch, Lautsprecher-durchsagen und Straßenlärm. Da kann man daheim, an seinem Sony-Stereo, so lange drehen, wie man will - vom Ton, der einem Assoziationen zwischen den einzelnen Einstellungen ermöglicht und ihre Anordnung im Film nachvollziehbar macht, hört man praktisch nichts mehr. Verkehrte Welt. Die Bescheidenheit und die Sorgfalt, mit der Manfred Neuwirth seinen neuen Videofilm gestaltet hat, sehen im Kino immer noch wesentlich besser aus als alle bislang angelaufenen großen österreichischen Spielfilme des Jahres zusammen.
Michael Omasta in: Falter 22/98
Manga Train
Dreißig sanft bewegte Reisebilder, dreißig knappe Impressionen aus Tokio, Osaka und Kyoto, in Zeitlupe, Ton und Farbe: Manfred Neuwirths jüngste Videoarbeit, genannt „manga train”, faßt Japan lyrisch kurz, blickt aus Zugfenstern und auf regnerische Straßen, in nächtliche Stadtlandschaften und einsame Entertainment-Zentren. Das Fremde und das Globale rücken eng aneinander: audiovisuelle Annäherung an die Melancholie einer hochindustrialisierten Welt, musikalisch montiert, sinnlich photographiert.
Stefan Grissemann, Die Presse 3.6.98
Manga Train
Dreißig Einstellungen laufen in fünffacher Zeitlupe ab. Manchmal ist der Ton den Bildern voraus, manchmal setzt er verzögert ein. Rotierende Sushi-Teller, kämpfende Sumo-Ringer und rockende Japaner, unterlegt mit rhythmischem Surround Sound.
Nach seinen „Tibetischen Erinnerungen” hat sich der österreichische Filmemacher Manfred Neuwirth auf eine filmische Reise durch Tokyo, Osaka, Hakodate und Kyoto begeben und Bilder und Töne mitgebracht, die vom Alltag Japans erzählen. Der Titel des Films spiegelt das Erscheinungsbild Japans. „Manga heißt im Japanischen Comic, und Comics sind ganz wesentlich im Erscheinungsbild Japans. Train, also der Zug, ist eine Chiffre für Bewegung, ein Bewegungsmotiv, das für mich in Japan wichtig ist. Vieles ist durch weite Bewegungen definiert, den immensen Verkehr, die ständige Bewegung”, so der Regisseur.
Wahre Schönheit scheint für Neuwirth nicht unsichtbar zu sein, mit seiner Kamera hat er seltene, alltägliche Momente aufgespürt, die beim Betrachter eine Flut von Assoziationen auslösen. Auf der Straße, in Gebäuden, auf der Rolltreppe, in der U-Bahn-Station, in Gärten, auf Märkten, in Zügen - mit seiner sensiblen Wahrnehmung ist Neuwirth auf traumhafte Bilder gestoßen, die er im wahrsten Sinne des Wortes klappern, krachen, summen, donnern und singen läßt.
Die Bilder von „manga train” folgen den Rhythmen der Alltagsgeräusche und verdichten sich in ihrer Gesamtheit zu einem Klangbild japanischer Kultur, die gleichermaßen künstlich, fraktal und ursprünglich wirkt. Neuwirth hat die Flüchtigkeit eines asiatischen Landes eingefangen, das nicht mehr oder weniger exotisch erscheint als andere Welten. Wenn man genau hinhört, kann man überall das Klappern von Pachinko-Kugeln vernehmen, vorausgesetzt man kann noch staunen.
gaschu, media biz 06/98