Tibetische Erinnerungen |
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„Tibetische Erinnerungen” von Manfred Neuwirth, ein audiovisuelles Notizbuch aus den Jahren 1988 bis 1995, auf Video gedreht, 23 Minuten lang. Ohne je in Ethno-Kitsch zu verfallen, filmt Neuwirth Details, alltägliche Verrichtungen, Straßenszenen. Die Bilder laufen in Zeitlupe ab, als ob zwischen der sog. Wirklichkeit und dem Blick des Beobachters eine irreduzible Differenz existierte. Die Töne behalten ihre „natürliche” Geschwindigkeit bei, Räume der Imagination tun sich auf, die auch auf jene zwei Ebenen verweisen mögen, deren Wechselspiel in Tibet das Leben besonders stark zu prägen scheint: die private und die politische der diktatorischen Unterdrückung.
Wie in seinem vorangegangenen Dokumentarfilmen arbeitet Neuwirth konsequent an und mit seinem Material, setzt sinnfällige Markierungen: Ein Schwenk von einem erleuchteten Fenster ins Nichts der absoluten Finsternis ist nicht nur „einfach schön”, erzählt auch in vielfältiger Weise von Grenzen (des Wahrnehmens, des Annäherns) - und klingt an Neuwirths Aids-Film „Vom Leben Lieben Sterben” an, in dem verfremdete Fensterkreuze als verbindliche/trennende Akzente zum Einsatz kamen.
Wenn gegen Ende einige bunt gewandete Nonnen wild durcheinanderlachen, während sie sich im Bild zu einer Art Familienfoto versammelt. haben, und eine von ihnen extrem verlangsamt ihren lila Hut vors Gesicht nimmt, wird man Zeuge einer Momentaufnahme, wie sie in dieser verdichteten Intensität im heimischen Filmschaffen tatsächlich einzigartig dasteht.
Christian Cargnelli, Falter 50/95
Tibetische Erinnerungen
Neuwirth stellt in seinen Erinnerungen an Tibet - gesammelt mit Kamera und Tonbandgerät zwischen 1988 und 1995- kurze Blickkonserven in eine Welt zusammen, der man mit. Off-Kommentar und Kulturfilm-Attitüde nicht beikommen kann. Stattdessen geht Neuwirth sein Thema impressionistisch an: In 35 zeitlupen-gedehnten Reisebildern reflektiert er ein Universum, in dem der Widerstand gegen die chinesischen Unterdrücker und die Armut der Menschen im trostvollen Licht und der Schönheit des Landes zu liegen scheint - und im Rückzug in die Tradition, in alte Rituale, in Arbeit und Bewegung. Neuwirths Tibetische Erinnerungen sind Elegien des subjektiven Sehens, kontra-punktiert und erweitert von den akustisch meist asynchronen 0-Ton-Splittern: eine hoch-komplexe (und wunderschöne) Arbeit über den Staub der Straßen, das Licht des Tages, die Gesichter der Menschen und das Flimmern der Propaganda-Fernsehschirme.
Stefan Grissemann, Die Presse 23.1.96