Aus einem nahen Land |
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Kritzendorf: Weinbauern im Experimentalfilm
Filmemacher Manfred Neuwirth hat seine Nachbarschaft untersucht und zeigt die Arbeit von Winzern: Mit langsamen Bildern in einer schnellen Zeit. Am Anfang sind die Schafe. Sie drängen sich um einen malerischen Baum, darüber strahlend blauer Himmel. Man hört Meckern. Einzelne Tiere lösen sich langsam aus der Herde. Irgendwann fällt einem auf, wie sich ein Schatten über den Rücken eines Tiers bewegt.
Die Szene ist eine der abwechslungsreichsten des Films. An anderen Stellen geht es noch ruhiger zu. Bauern schneiden Äste im Weingarten, ein Pfarrer predigt bei einer Feldmesse, zwei Spanferkel drehen sich am Spieß. Oder auch nur: Ein Holzstapel, an dem sich die Kamera langsam, ganz langsam, vorbeibewegt.
Er habe seine Arbeit mit Fotos und Ton begonnen, sagt Manfred Neuwirth, er mache das öfter so, sich mit „optischen und akustischen Notizen“ einfach einmal hineinzuwühlen, auf dass daraus langsam ein System entstehe: Drei Minuten lange Bilder, die von links nach rechts abgetastet werden, sind es hier. Ein Rhythmus, bei dem man sich die Bilder „wie durch ein Album durchblättern kann“.
„Aus einem nahem Land“ heißt der Experimentalfilm, mit dem sich der weit gereiste Filmemacher seiner nächsten Umgebung angenommen hat. Erstens, weil ihn „Territorien“ interessieren: „Kleine Gebiete, in denen ich mich bewegen kann und wo optische und akustische Reize auf mich einwirken.“ Das macht er so, wenn er in Japan oder Tibet arbeitet. Und auch im heimatlichen Kritzendorf. Dort, und das ist der zweite Aspekt, der ihn bewegt hat, gibt es in seiner Nachbarschaft nur noch einen Vollerwerbsbauern. An dessen Beispiel will er zeigen, „was man heute kaum mehr sieht: was harte bäuerliche Arbeit bedeutet.“ Mit ihrem großen Heurigen bilde die Familie Vitovec auch das lokale Kommunikationszentrum. Natürlich, sagt Neuwirth mit einem Schmunzeln, habe er dort harte Recherchearbeiten erledigen müssen.
„Sehnsucht nach Konzentration“
Die Mühe hat sich gelohnt: Gerade wurde der Film bei der Diagonale in der Kategorie Dokumentation für die beste Bildgestaltung und das beste Sounddesign ausgezeichnet. Wobei hier vor allem deren Zusammenspiel Wirkung erzielt: Wenn man Bild und Ton entkopple, glaubt Neuwirth, könne man den Zuseher „in eine spezielle Wahrnehmungssituation bringen“. Nicht pädagogisch, „sondern lustvoll“: Er orte, sagt er, eine Sehnsucht nach Bildern, auf die man sich konzentrieren könne, „und nicht nur überfallsartiges Kino, das einen mit Ton- und Bildeffekten zukleistert“. Quasi die Kinovariante dessen, was er unlängst in der Velazquez-Ausstellung beobachtet habe: „Ein irrsinniges Gewusel, und trotzdem gab es Leute, die in der totalen Konzentration auf das Bild sind. Solche Momente habe ich selbst, wenn ich als Zuseher im Kino bin, und will ich selbst herstellen, damit es so konzentriertes Schauen und Hören geben kann.“
Mit dem Weinmachen selbst ist Neuwirth, aufgewachsen im Weinviertel und in Bad Vöslau, von Kindheit an vertraut. Die Liebe zur Kamera hat ihm sein Vater mitgegeben, der schon früh mit Video begonnen hat. Jene zu fernen Ländern entfachte der Großvater, ein pensionierter Lehrer, der seinen des Englischen mächtigen Enkel früh auf Reisen mitnahm. Mit 18 kam Neuwirth so nach Indien. „Ich kann gar nicht beschreiben, wie mich das aus der Bahn geworfen hat, zum ersten Mal hungernde Menschen zu sehen.“
Später nutzte er Video, um die Anliegen seiner Generation zu unterstützen: Die Anti-AKW-Bewegung, Gleichberechtigung, die Homosexuelleninitiative, die Arena. „Mediale Sozialarbeiter“ seien sie gewesen, meint Neuwirth, der heute noch in der damals entstandenen Medienwerkstatt in der Neubaugasse arbeitet. Bis heute tauchen soziale Anliegen in seiner Arbeit auf. 2013 drehte er eine Fortsetzung von „Leben Lieben Sterben“, eine Doku, die in den frühen Neunzigerjahren Erfahrungen mit Aids beleuchtete. Das Sterben per se ist indes kein großes Filmthema für ihn, auch wenn er ihm auf vielfältige Weise begegnet ist: In Tibet etwa, erzählt er, wo man das Sterben zu Lebzeiten übt. „Durch meine Reisen habe ich ganz andere Blickwinkel gewonnen, wie man damit auch umgehen kann.“
Teresa Schaur-Wünsch, Die Presse