Barkhor Round |
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Du bist gewohnt, als Regisseur und im speziellen als Kameramann optisch zu arbeiten. Was hat Dich bewogen, dieses "akustische Bild" zu schaffen?
Es gibt da eine Geschichte von Jean Rouch, dem berühmten französischen Dokumentarfilmer. Er hatte einen afrikanischen Stamm bei der Nilpferdjagd begleitet und dann im Film am Höhepunkt dieser Jagd dramatische Musik unterlegt. Nach der Vorführung des Filmes haben ihn die Jäger darauf aufmerksam gemacht, daß die Nilpferde sehr feine Ohren hätten und daß es daher beim Anpirschen sehr still sein müßte. Von diesem Moment an hat Rouch nur mehr Originalsounds verwendet, die zu der jeweiligen Aktion gehörten. Diese Geschichte ist für mich ein Beispiel dafür, wie wichtig der Ton bei jeder Art der filmischen Äußerung ist. Wenn ich unterwegs bin, passiert es oft, daß ich auf einmal das Sehen "abschalte" und daß ich mich ganz auf Töne konzentriere. Das kann jetzt das Quietschen einer Rolltreppe sein, das kann eine Kombination auf der Straße sein, daß Du Musik hörst aus einem Geschäft und draußen sich das Klappern von Schuhen auf einmal im selben Takt dazumischt. Das war für mich immer eine Faszination, nur auf Ton zu reagieren. Wenn man sich das bewußt vornimmt beim Herumspazieren, kann man mit anderen Eindrücken durch jeden Ort der Welt gehen und man nimmt auf einmal Dinge war, die einem sonst verschlossen bleiben.
So war auch der Zugang zu diesem Projekt: Der Barkhor ist ein Weg in Lhasa, den ich oft wie einen Corso in Italien gegangen bin: Am Abend schnell eine Runde machen und schauen, was die Geschäfte Neues haben und genießen, ganz einfach in die Menge einzutauchen. Beim Gehen habe ich bemerkt, daß hier akustisch sehr viel zusammenkommt. Es spielt sich sehr viel Spannendes rein musikalisch ab. In diesen Rundgängen sind Rhythmuswechsel drinnen und Mischungen von Tönen. Es gibt z.B. spannende Kompositionen dadurch, daß von links ein Kassettenrecorder und von rechts ein Videokinosound zusammenkommen. Man hört "alte" Geräusche von Hörnern, die die Mönche spielen, und auf der anderen Seite kommt der "neue" Sound von einem Motorrad, der da hineinknattert. Das ist rein musikalisch, rein rhythmisch interessant. Es geht mir nicht unbedingt darum, Bilder dazu zu assoziieren, sondern es ist für mich von den Klängen her interessant, wie sie sich in einem Kompositionsprinzip überlagern, mischen oder auch gegeneinanderstellen.
Du setzt schon ganz bewußt dramaturgische Elemente ein, in dem Du an gewissen Punkten stehen bleibst.
Das Kompositionsprinzip resultiert aus zwei Faktoren. Der erste: Zuerst habe überhaupt nicht aufgenommen, sondern bin sehr oft gegangen und habe mich darauf konzentriert, diese Rhythmenwechsel bei dem rund zwanzigminütigen Rundgang zu spüren. Der zweite: Beim Aufnehmen habe ich versucht, diesen Rhythmen nachzuspüren. Das heißt also, Stopps zu machen und einen leichten Wechsel des Klangbildes durch Kopfwendungen zu erzeugen. Die Mikrofone sind ja in meinen Ohren befestigt gewesen. Z.B. war da ein Ort, wo drei Musiken aus verschiedenen Geräten zusammengekommen sind: von einem Videorecorder und von zwei Kassettenrecorder, einmal aus einem Teehaus, einmal von einem Verkaufsstand. Hier bin ich dazwischen hin und her gegangen, um diese verschiedenen Eindrücke zusammenzumischen. Oder, daß man sich einem Pilger nähert, der sich niederwirft und Schleifgeräusche mit Holz macht, ihn dann wieder im Gehen zurückläßt, ihn dann wieder erwischt und ihn dann wieder zurückläßt - so wiederholt sich ein Motiv. Das ist auch ein kompositorisches Prinzip. Oder daß man den Ton der sich niederwerfenden Pilger, die diese Schleifgeräusche machen, am Schluß lange stehen läßt, weil man erst bei längerem Hinhören mitbekommt, wie verschiedene persönliche Rhythmen ineinanderfließen. Das waren schon bewußte Kompositionsentscheidungen beim Gehen. Dann war mir wichtig, keine speziellen Geräusche zu betonen. Wenn Du den Weg wirklich so oft gehst und dir die Geräusche bei längerem Aufenthalt in Lhasa schon gewohnt werden, kannst Du "selbstverständlich" damit umgehen. Dazu kommt auch der Vorteil von den Kopfhörern, die in deinen Ohren stecken, so daß Du nicht auffällig unterwegs bist. Du kannst Dich einfach unter die Menge mischen. Und wenn Du oft gehst, bist Du schon irgendwie akzeptiert in dem Kreis, Du wirst nicht dauernd angebettelt oder von den Händlern angesprochen. Das war ein wichtiger Faktor, daß Du ganz normal darin herumgehst und nicht auffällst oder besser gesagt nicht besonders auffällst.
Es ist eine Komposition aus vorhandenem Material?
Ich habe das Gefühl gehabt, es gibt aus dem Aufeinandertreffen von "alter" und "neuer" Welt mit den verschiedenen Sounds von sich aus eine Komposition. Natürlich sind meine Prinzipien des langsamen Gehens, des Stehenbleibens und des Kopfdrehens das Kompositorische bei der Aufnahme. Die wirkliche Spannung ergibt sich aus dem Wechsel von alten und neuen Tönen, die man auch zuordnen kann: die "neuen" technischen Töne, die aus Kassettenrecorder und Videorecorder kommen, und dann die "alten" Töne wie das Gehen, das Beten, das Reden. Und bei diesem Rundgang verdichtet sich das extrem. Es sind Momente im "Barkhor round", die sehr viel von dieser Spannung alt-neu haben, die Du auf keinem anderen Platz in Tibet erleben würdest.
Welche Reaktion erwartest Du vom Zuhörer?
Es ist nicht eine Frage des Hörens speziell. Für mich ist das Entscheidende, sich Zeit zu nehmen, sich auf etwas Längeres und Ungewohntes einzulassen. Das reizt mich auch an der Filmarbeit: sich mit dem Gefühlen, mit den Sinnen auf ein Thema einzulassen. Ich spreche ein bestimmtes Publikum an, das auch bereit ist, viel Ruhe und Sinneskraft aufzuwenden, um etwas Neues aufzunehmen. Das funktioniert bei "Barkhor round" dann, wenn die Zuhörerin und der Zuhörer sich langsam von diesen Tönen und Geräuschen und der speziellen Atmosphäre gefangen nehmen lassen.
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