Das Sinnliche im Filmemachen |
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Ein Gespräch mit dem Regisseur, Kameramann und Produzenten Manfred Neuwirth
Manfred Neuwirth: Ich möchte am Anfang eine Geschichte erzählen, die mich in letzter Zeit bewegt hat. Ich habe den Film "Hearts of Darkness" gesehen, das ist ein Dokumentarfilm über die Entstehung von "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola. Das war wahrscheinlich eines der wahnsinnigsten Filmprojekte, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Du siehst die Entstehung einer Produktion, die Abermillionen Dollar kostet. Vieles geht schief, die geplante Drehzeit vervielfacht sich, der Hauptdarsteller kriegt einen Herzinfarkt, Militärhubschrauber drehen während einer Szene ab, weil sie für einen realen Kampf gebraucht werden und vieles mehr. Und zum Schluß, wie trotz dieser Schwierigkeiten der Film fertig ist, siehst du einen abgeklärten Coppola, der - mit etwas Selbstironie - eine Geschichte erzählt: Seit es diese neuen Medien wie Video gibt, träumt er eigentlich davon, daß irgendein Mädchen in irgendeinem hinterwäldlerischen Staat so eine Video8-Kamera in die Hand nehmen wird, daß sie so ein Genie wie Mozart ist, und mit dieser Kamera einfach ein wahnsinniges Video machen wird, das einschlägt wie "Apocalypse Now". Und von diesem Punkt möchte ich ausgehen. Ich schaue mir gerne die größten Breitwandepen an, Cinemascopefilme, ich mag auf der anderen Seite aber auch sehr individuelle, kleine Geschichten, die mit der Videokamera gemacht worden sind. Für mich ist es daher immer interessant, all diese Bereiche zu erforschen, d.h. vom großen Kinofestival bis zum Videofestival sich alles anzuschauen, ins Kino zu gehen, in eine experimentelle Galerie zu gehen und verschiedenes anzuschauen und aufzunehmen. Mich interessiert wirklich das ganze Spektrum zwischen den extremen Polen. Vielleicht ein paar Namen dazu: Aus dem dokumentarischen und experimentellen Bereich z.B. Johan van der Keuken, Chris Marker, Maya Deren und Kenneth Anger. Bresson als Beispiel für sehr reduzierte Bilder, Bunuel mit seinen surrealistischen Geschichten, auch Arrabal in dieser Richtung. Von den Amerikanern z. B. Coppola und die frühen David Lynch-Filme. Außerdem bin ich ein großer Fan von Laurel und Hardy, die ja eine unheimliche anarchistische Kraft gehabt haben. Und die für mich faszinierendsten Filme, was die optische Opulenz und Kraft anlangt, kommen derzeit aus Hongkong wie z.B. "Sie werden kommen und Euch fressen" oder "Chinese Ghost Story".
Walter Hiller: In Deiner Biographie steht: Seit 1972 Arbeit mit Film, seit 1976 mit Video. Was war Auslöser für die Beschäftigung mit audiovisuellen Medien?
M.N.: So eine fixe Jahreszahl in einer Filmographie ist für mich irreführend, weil Filmemachen oder - anders gesagt - optisches Verständnis entwickeln, fängt ja sehr früh an. Und das in sich selbst wieder aufzufinden, ist für mich ganz interessant: Wo kommt die Faszination von Bildern her, die für mich eigentlich ab der Kindheit da waren. Ich kann mich erinnern: Es gibt ein paar Eindrücke: Comic-Hefte, gewisse Fotobände oder auch seltene Kinobesuche. Das zweite waren sicher so Erfahrungen in der Familie: Fotoapparate, Filmapparate, die etwas sehr Wertvolles waren. Die hat man sich damals gerade leisten können. Es war was Tolles. Und das habe ich miterlebt. Da waren die Fotos, da waren die Super-8-Filme. Und die waren für mich immer mit Wichtigkeit, mit Interessantsein besetzt. Und ein weiterer Faktor war sicher, daß ich das Glück hatte, sehr viele Reisen machen zu können. Du kommst in Länder, wo du die Sprache auf einmal nicht verstehst. Jetzt bin ich ein Typ, der eher gerne beobachtet. Da fallen mir Geschichten dazu ein auf den Reisen. Eine Szene: Wartezeiten am Flughafen zum Beispiel. In Thailand, in Bangkok - dann kommen Busse an mit den Girls und den Freiern, die sich ganz verschieden verabschieden voneinander - das geht vom höflichen Händeschütteln bis hin zu herzzerreißenden Szenen. Und da kannst du dir deine eigenen Geschichten dazu erfinden. Das sind dann auch kleine Filme, die in dir ablaufen. In Moskau kann ich mich erinnern, habe ich auch Zeit gehabt. Roter Platz. Wenn man ein Hochzeitspaar ist, geht man zum Lenindenkmal und legt eine Blume hin. Wahrscheinlich macht man das heute nicht mehr, aber damals hat man es gemacht. Das war ein Weg, wo die Eheleute aus der Masse herausgegangen sind und ungefähr 50 Meter alleine hin und zurück gegangen sind. Und du konntest sie beobachten 100 Meter lang. Und da konnte ich die Ehegeschichte der beiden in dieser Zeit durchspielen für mich. Ist die Frau da dominant, er hat nichts zum Sagen. Oder er ist ein ziemlicher Draufgänger, die werden nicht lange oder so. Das passiert aber rein aus optischen Reizen, die auf dich einwirken. Du brauchst nur deine Geschichten dazu haben. Oder wie ich in China 1977 das erste Mal war - da gibt's ein Bild, das ich nie vergessen werde - damals war die Viererbande gerade abgesägt, die Maowitwe und ihre Mitkämpfer - und da sind wir in einen Kindergarten gegangen und da hängen Poster von den vier und da sind diese drei- bis vierjährigen Buben und Mädchen - die haben so Fetzenlaberln bekommen - und diese Kinder laufen hin zu einer Linie und bewerfen die Köpfe der Viererbande, einen nach dem anderen. Und das ist ein Bild, das ich auf Super8 habe, und da weiß ich hundertprozentig, daß ich mit dem irgendwann mal etwas machen werde. Das ist optisches Gedächtnis und da ist noch der glückliche Zufall, daß das auf Film auch noch materialisiert ist und ich das noch liegen habe. Das war einfach eine irrwitzige Szene, und so geht das mit vielem....du hast das optisch in dir gespeichert. Ein Teil davon ist als dein filmisches Werk auch materiell gespeichert. Aber es gibt natürlich viel mehr Filme im Kopf als man auch real umsetzt.
W.H.: Welche Themen interessieren Dich bei deiner Film- und Videoarbeit?
M.N.: Bei meinen dokumentarischen Arbeiten ist es so, wenn ich mir die Sachen anschaue, es hat immer etwas mit Tabuthemen zu tun. Bei "Asuma" und "Wossea Mtotom" war es ein Projekt, wo 'Künstler' und 'Behinderte' zusammengearbeitet haben. Bei "Erinnerungen an ein verlorenes Land" ist es verdrängte Regional-Geschichte, die im offiziellen Geschichtsbewußtsein nicht wahrgenommen wird. Und das Thema, an dem ich derzeit arbeite - nämlich Aids - ist auch so ein klassisches Tabuthema. Das hat sicher damit zu tun, daß das aus meinem politisch-sozialen Anspruch herkommt - welches Wort soll man da nehmen - subversiv zu sein - nicht in seinem streng klassischen Sinn, zerstörerisch, umstürzlerisch, aber doch so im Impetus, gesellschaftliche Institutionen anzugreifen, Tabuthemen nach oben zu bringen, doch kleine Veränderungen anzustreben. Mein Lieblingsbuch über Film ist auch "Kino wider die Tabus" von Amos Vogel, und wenn du dir einmal die Standfotos darin durchschaust, dann weißt du, was ich meine.
W.H.: Du machst Regie, Du machst Kamera, Du machst Schnitt. Ist Dir eine der drei Sparten am wichtigsten?
M.N.: Für mich ist Filmemachen immer noch, ein Handwerk im klassischen Sinn auszuüben. Ein Handwerk, bei dem ich eigentlich alle Stufen der Produktion überblicken möchte. Es gibt schon einen Lieblingsbereich, der ist für mich Kamera, weil das noch die direkte körperliche Umsetzung in der Arbeit ist. Vor allem die dokumentarische Kamera, die doch verlangt, wirklich präsent zu sein. Du weißt, es ist nichts wiederholbar, das muß sitzen, d.h. es ist eine irrsinnige Spannung hinter der Kamera, daß das stimmen muß. Das ist für mich das Sinnliche im Filmemachen. Kamera macht die meiste Lust in der direkten Umsetzung. Filmemachen ist ja auch ein Handwerk des Distanzierens oft. Du bist ja auf der Seite, der beobachtet. Wenn ich oft Musiker sehe, dann würde ich gerne auf der Bühne stehen und hätte gerne die Kraft, die sie bringen können. Trotzdem bin ich der, der das aufnimmt. Und bei Kamera ist es noch am ehesten -- da kann es noch umkippen, das hat dann die selbe Kreativität direkt aus dem Körper, du hast ein verlängertes Werkzeug, ein optisches, mußt umsetzen, mußt dich bewegen, es muß alles stimmen, die Emotion ist gleichwertig. Das ist vielleicht das Spannendste am Filmemachen. Natürlich ist Schnitt wieder wichtig, das Material zu ordnen, oder gegeneinander zu setzen. Aber der Großteil der Arbeit hängt doch von dem Moment ab, in dem du dich in der Drehsituation befindest. Das hat viel mit Lebenserfahrung zu tun - je länger du sowas machst, umso mehr kannst du dokumentarisch auch rüberbringen. Das ist auch das, was ich so im Laufe von 20 Jahren gelernt habe: Umfeld zu schaffen, also daß es beim dokumentarischen Filmemachen nicht darauf ankommt, daß du alles perfekt organisiert hast, sondern ein Umfeld zu schaffen, in der Drehsituation, dem Team gegenüber, wo du dann bestimmte Sachen erreichen kannst. Das ist auch eine Art des Arbeitens, eine bestimmte Teamsituation selbstverständlich zu haben. Und ich glaube, das merkt man auch den Filmen an, die ich gemacht habe, daß auf dieses Umfeld sehr viel wert gelegt wurde, und sich die Leute daher sehr öffnen konnten in den jeweiligen Drehsituationen.
W.H.: Du hast vorhin gesagt, Filmemachen hat auch mit Lebenserfahrung zu tun: In einem früheren Interview hast Du einmal gesagt, Filmemachen ist auch Suchen, ist auch Erinnern ...
M.N.: Filmemachen ist Leben, da gibt es ein Zitat von Henri Cartier-Bresson, das ich sehr mag, der das zwar auf Fotografie bezieht, das gilt aber auch fürs Filmemachen: "Es (Fotografie) ist eine Art zu schreien, sich zu befreien, nicht aber, seine Originalität auszuprobieren oder unter Beweis zu stellen. Es ist eine Art zu leben." Es ist für mich ein Versuch, selber eine Art Lebensform zu finden, wo Filmthemen an mich herankommen, die in meinem Umfeld stehen, die mir nahe sind, auf die ich mich einstellen kann. Das ist die Art des Lebens. Und selber auch eine Form zu haben, wo ich meine Produktionsmittel und meine Leute um mich herumhabe, die mit mir diese Filme machen. Und das ist für mich wichtig. Dazu kommt, daß ich mein eigener Produzent bin, also die Produktionsbedingungen selber im Griff haben möchte. Und das gibt die größtmögliche Freiheit, ein Produkt auch so zu machen, wie man will. Gerade im dokumentarischen Bereich ist für mich entscheidend, sehr viel Zeit zu haben und genau dieses Umfeld auch ausschöpfen zu können.
Es geht immer darum, die Lebenserfahrung, die man als Filmemacher hat, immer mehr in seine Filme hineinzubekommen, das sind Erfahrungen der Emotion, Erfahrungen des Handwerks. Wichtig ist, daß man bei dem Film spürt, da stehen Subjekte dahinter, Ideen, Lebenskraft.
W.H.: Du machst aber nicht nur dokumentarische Arbeiten?
M.N.: Also, wenn ich schon sage, ein Ansatz von mir ist subversiv - ein subversiver Ansatz muß immer sowohl inhaltlich als auch formal sein. In dem Spannungsfeld operiere ich immer. Es gibt aber auch für mich diese Forschungsarbeit mit Bildern...was gibt es jetzt überhaupt schon alles auf der Bildebene, was wird alles gemacht und darin auch andere Formen zu finden. Ein Beispiel ist dieser kurze Spot "Experten" nach Tschernobyl gewesen, einfach diese Machtlosigkeit...und da hat mein optischen Gedächtnis zugeschlagen, wo ich mich erinnern konnte, da war eine Diskussion im Fernsehen mit Atombefürwortern knapp vor der Zwentendorf-Abstimmung, wo man sich grün und blau geärgert hat. Und wie dann das mit Tschernobyl war, habe ich mir gedacht, ich setze die in so kleine Plastikfernseher und mache sie einfach lächerlich. Und in dem Fall hat die Geschichte - leider - gezeigt, wie lächerlich die Experten sind. Das gibt einem emotional was und das war ein eineinhalb-Minuten-Beitrag, der im Kino zwischen der Werbung gelaufen ist. Hat also auf Werbeästhetik Bezug genommen. Und das macht Spaß, auch im kleinen einmal zurückhauen zu können. In dem Fall im wahrsten Sinn des Wortes, weil ich mit dem Hammer auf diese Plastikfernseher draufgehaut habe.
Ein anderer Ansatzpunkt für ein Projekt, an dem ich schon lange arbeite, ist, daß es jetzt verschiedene Bildmaschinen gibt. Das geht in viele Bereiche hinein, wo früher Bilder nicht relevant waren, wie beispielsweise in der Medizin. Du kannst Kameras in den Körper einführen, du kannst Diagnosen optisch stellen, was man früher nicht konnte. Oder die Geschichten, wo in der Architektur simuliert wird - man baut mit Computersimulation. Es gibt viel Bereiche, wo das Optische viel wichtiger geworden ist, wie z.B. in der Architektur, in der Technik, in der Medizin, ....das interessiert mich, diesen Bildmaschinen nachzuforschen. Das ist eher eine experimentellere Arbeit, ein Nachforschen, was es überhaupt gibt, um zu zeigen, daß sich die Verhältnisse geändert haben, daß viele Entscheidungen auf optischem Weg getroffen werden. In dieses Bildmaschinenprojekt fallen auch Beispiele hinein, die sowohl faszinierend wie erschreckend sind, daß man z.B. Sportler ausbildet oder trainiert mit speziellen autogenen Methoden, wo sie dann in einem autogen-aktivierten Zustand Jubel-Bilder vorgespielt bekommen, im Kino, und die sie vor dem Wettkampf wieder hervorholen können. Wie bei der Videokamera früher, wo man gesagt hat, man kann "Einbrenner" machen, kann man den Leuten anscheinend im Kopf schon "Einbrenner" machen. So, daß man sich euphorisieren kann durch optische Reizmittel, die man, ohne daß man die optischen Reizmittel wieder zeigt, auch wieder hervorrufen kann im Körper.
Wenn ich es jetzt irgendwie zusammenfassen soll, so fließt bei mir dokumentarisches und experimentelles Vokabular ineinander. Für mich ist es so: Die Lust gehört dem Experimentellen und die Liebe dem Dokumentarischen. Und es gibt Dinge, wo das sehr, sehr nahe ist und sich vereint. Wenn mir das gelingt, sind das die schönsten Momente, wenn ich Film oder Video mache. Oft möchte ich mich der sprachlichen Ebene entziehen, mehr auf die Kraft des Optischen vertrauen und nur Bilder zur Kommunikation nutzen. Vielleicht machen wir das nächste Mal ein anderes Interview: Ich gebe Dir eine Kamera in die Hand und sage dir, mach in den nächsten Tagen fünf Bilder, und ich schaue mir die an. Dann mache ich fünf Bilder und zeige sie Dir. Und wir brauchen dann überhaupt nicht miteinander reden und trotzdem können wir uns gegenseitig vieles sagen.
Gespräch Walter Hiller
in: Montage 3/92, herausgegeben von der Medienwerkstatt Wien, Wien 1992