Der Bildermacher |
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Vertrauen in die Kraft des Optischen. Der Bildermacher
Manfred Neuwirth und seine Filme
In einem Gespräch mit Walter Hiller hat Manfred Neuwirth gesagt, daß er sich oft der sprachlichen Ebene entziehen und eher auf die Kraft des Optischen vertrauen würde. Die Gesprächspartner könnten beispielsweise mit der Kamera fünf Bilder aufnehmen, sie sich gegenseitig zeigen und auf diese Art nonverbal miteinander kommunizieren.
Ich werde fünf Bilder aus Manfred Neuwirths Filmen beschreiben.
- Aus Asuma (1982): Jean will auf einer Wiese im Wind einen Text lesen, und das Blatt fliegt ihm immer wieder flächig ins Gesicht. »Das Blatt fliegt«, sagt er - konkrete Poesie in Wort und Bild.
- Aus Wossea Mtotom (1983/84): Drei junge Männer spielen Karten, sie hocken in einem Hauseingang, die Karten legen sie auf einer umgekippten Schachtel aus. Auf der Türschwelle sitzt eine junge Frau und schaut zu - und vor sich hin in den Sommer.
- Aus Erinnerungen an ein verlorenes Land (1988) die alten Fotos oder vielleicht diese lange Regenautofahrt durch das Waldviertel. Auch Tonbilder möchte ich aus diesem Film auswählen, die lang gezogenen Harmonikaklänge.
- Aus Vom Leben Lieben Sterben - Erfahrungen mit Aids (1992/93) natürlich die Zwischenblicke, das verschwimmende Fensterkreuz.
- Aus The end of the gang of four (1993) die Super-8-Einstellung, um die das experimentelle Video gebaut ist: Chinesische Kinder nehmen Anlauf, bücken sich, heben etwas auf und werfen es gegen eine Stellwand, in der in kindergerechter Höhe die »Viererbande« in einer Karikatur aufgezeichnet ist.
Manfred Neuwirth arbeitet mit dem Medium Video. Das schreibt bestimmte Zuordnungen fest. Er würde sich nach seiner eigenen Definition in die zweite Generation des dokumentarischen Arbeitens mit Video in Österreich einstufen, zu jenen Gruppen, die Mitte der siebziger Jahre die »Gegenöffentlichkeit« zu den etablierten Massenmedien schaffen wollten. Die Kriterien und Prämissen dieser dokumentarischen Arbeit sind bekannt: Vorwiegend kommen die »Betroffenen« zu Wort, meist stehen die Filmemacher vom Rand aus der spezifischen Problematik zur Verfügung. Sie sind »Sozialarbeiter in der Medienarbeit« - so nennt Manfred Neuwirth das retrospektiv.
Diese Art des Arbeitens legt fest. Manfred Neuwirth läßt sich nicht festlegen. Mit Konsequenz und präzisem Arbeiten hat er sich über die Jahre aus der zu eng definierten sozial engagierten Arbeit mit dem Medium emanzipiert. Wenn argumentiert wird, daß der Dokumentarfilm sich dem Experimentalfilm annähert, weil er genrespezifisch ähnlich medienreflexiv operiert daß z.B. zum obligatorischen Bilderrepertoire das Eigenbild des Filmteams gehört (Christa Blümlinger), so lieferten Lampalzer, Deutsch und Neuwirth schon mit den beiden Filmen über die Behinderteninitiative in Luxemburg interessante experimentelle Varianten. Filmemacher und Gefilmte operieren in diversen Funktionen vor und hinter der Kamera Funktionen und Zuordnungen vermischen sich.
Nicht nur die gefundene Realität ist liebevoll beobachtetes Sujet der Filme, sondern die durch die Aktivität des Filmemachens ständig veränderte Realität.
Diese grenzüberschreitende Qualität (schon hier ist eine Affinität zur Videokunst, zu den Installationen zu beobachten) ist ein struktureller Glücksfall für die Filme: Sie zeigen die Utopie der Veränderung der sinnlichen Lebenswelt durch künstlerische Aktivitäten. Die Betroffenen, die Behinderten, sind gleichzeitig autonom Agierende, wenn es um ihre künstlerischen Produkte geht; Gefährdete, Kranke, wenn es um die Eindämmung ihrer Irritationen geht, Gesprächspartner, Kommunikatoren, Mitarbeiter. Eigentlich war schon mit diesen beiden Filmen die Absage an die sogenannten »Flugblattfilme« (Ruth Beckermann), den relativ formlosen Agit-Prop-Filmen, lustvoll geschafft. Neuwirth ist vor allem Bilderproduzent, ständig auf der Suche nach Bildern, die seine Inhalte transportieren. Er ist dem Medium Video treu geblieben und hat in diesem Medium immer neue Bildstrategien erarbeitet. Nie sind die Bilder nur illustrativ. Sie kommen immer ein wenig aus dem 0ff, sodaß eine Denkspanne zwischen dem Gesehenen und einer zu schnellen Einordnung bleibt.
Er war also »von Anfang an dabei«: Er verkörpert in seiner Lebens- und Produktionsgeschichte einen Aspekt der österreichischen Mediengeschichte mit den Stadien, die zum repräsentativen Lebenslauf eines unabhängigen Videoarbeiters in Wien gehören: Kontakt zur »Arenabewegung«, Produktion einer medialen Gegenstimme durch die »Volks stöhnenden Knochenschau«, Mitbegründer des Medienzentrums (später Medienwerkstatt) und ab diesem Zeitpunkt kontinuierlich in wachsender Professionalisierung in vielen Funktionen mit dem Medium befaßt. Wie auch bei anderen Filmemachern ging die Entwicklung in der Folge eher weg vom strikten dokumentarischen Arbeiten, zu Projekten, die mehr Platz für das Subjektive, Meditative und formal Strenge lassen.
Neuwirths Suche nach den richtigen Bildern hat die spirituelle Dimension eines allgemeinen Lebensentwurfs. Er vertraut seinen Bildern, das merkt man. Sie sind einfach - in einem transparenten kompromißlosen Sinn, sie treten zurückhaltend zwischen Aussage und sinnlicher Wahrnehmung, transportieren die Haltung des Filmemachers auf eine subkutane uneitle Art. In Erinnerungen an ein verlorenes Land, jenem Film über den Truppenübungsplatz Allentsteig haben die Interviewten ganz offensichtlich Vertrauen zu den Filmemachern. Sie sprechen überlegt und konzentriert, suchen nach Formulierungen, zögern. Das ist undogmatisch und gleichberechtigt nebeneinander ausgelegt. General, Bäuerin, hoher Beamte, sie alle liefern ihren kommunikativen Beitrag gleichwertig. Selbstverständlich gibt es keine Interpretationen aus dem 0ff.
Der Filmemacher vertraut auch seinem Publikum. »Für wie deppert halten die das Publikum mit ihrer Oberlehrerhaltung, wenn sie meinen, daß man Beruf Neonazi oder diesen Film über Leni Riefenstahl Die Macht der Bilder nicht zeigen sollte«. Neuwirth hat etwas gegen Oberlehrer. Und dabei ist das Genre, in dem er sich häufig bewegt, anfällig für Oberlehreransätze. Er umschifft sie souverän, weil er zeigt, Material anbietet und nicht erklärt. Behinderte und Nicht-Behinderte werden mit der gleichen Konzentration oder selektiven Beiläufigkeit aufgenommen. Kein Zoom auf leichte Bewegungsirritationen oder beginnendes auffälliges Verhalten. Man hat den Eindruck, daß die Kamera selbstverständlicher Teil des Zusammenlebens war, wie die Werkzeuge, mit denen die Kunstobjekte erzeugt wurden. Das muß ein wunderbarer Sommer gewesen sein! Und etwas vom Geruch dieses Sommers der intensiven Aktivitäten, der gemeinsamen künstlerischen Praxis, der Produktion von Kommunikation wird in den Bildern des Films transportiert.
Positiv, konzentriert, ruhig, redlich. Mit diesen Attributen könnte man einen Künstler auch endgültig in die wenig attraktive Ecke des Bemühten, des Wohlmeinenden, des Guten rücken. Es ist überhaupt sonderbar, daß bei dokumentarischen Arbeiten immer auch auf die ethische Grundhaltung Bezug genommen wird, während das bei Bilderproduzenten im fiktionalen Bereich nicht so eine große Rolle zu spielen scheint. Gerade weil Neuwirth die Pointe, das Denunziatorische, die versteckte Kamera vermeidet, sind die formalen Radikalentscheidungen, wie z. B. diese abstrakten Blicke im Aids-Film geradezu Explosionen, Momente von großer visueller Sinnlichkeit. Kein virtuoses Flimmern, sondern die Abstraktion als eine formale Notwendigkeit und Zäsur. Neuwirth hat die Kamera bei einem Film über Tibet gemacht. (Jürg Neuenschwander Shigatse, 1988/89.) Oft erkennt man seine Bilder wieder: Die Landschaft ist überwältigend, aber so, daß sie den Menschen ihre Dimensionen läßt, das Leben auf den Straßen so vertraut gezeigt, daß man direkt eintauchen möchte. Aber sonst ist der Film in seiner Konzeption der Gegenpol zu Manfred Neuwirths eigenem dokumentarischen Arbeiten. Der Kommentar aus dem 0ff gibt Interpretationen und Werturteile, erklärt nicht wirklich, demonstriert das vermutlich Ursprüngliche nur als das Exotische, ohne es näher zu bringen oder auch fremd zu lassen.
Neuwirths Filme funktionieren anders. Die Kamera scheint für den Menschen gegenüber immer gerade das richtige Maß zu finden. Es bleibt Platz für den Atem im Bild, für Bewegungsfreiheiten, aber in der Konzentration der Kadereinrahmung. Natürlich gibt es keinen Kommentar, der Zuschauer kann den Bildern vertrauen. Um der Arbeitsweise von Neuwirth gerecht zu werden, darf man nicht vergessen - und es wird oft vergessen, daß er parallel zu seinen langen Dokumentararbeiten, experimentelle Videos und mediale Rauminstallationen entwickelt. Er ist Bilderforscher. Durchaus nicht festgelegt in dem enger gewordenen Rahmen der sozial- und gesellschaftlich engagierten Medienarbeit. Die Arbeiten sollen hier beschrieben werden, gerade um ihre gleichwertige Bedeutung neben der dokumenarischen Arbeit zu betonen.
Heilende Schläge (1985): Die Zusammenarbeit mit der experimentellen Musikgruppe 8 oder 9 begann bei dem Behindertenprojekt. Das Video ist auf einem Dachboden entstanden, 8 oder 9 singen acht ihrer Lieder. Curd Duca hat auch später oft die Musik für Projekte von Neuwirth gemacht, z.B. für Erinnerungen an ein verlorenes Land oder auch für die abstrakten Blicksequenzen in dem Film über Aids.
The race is almost run (1985) war eine Installationsarbeit mit einer Spielzeugeisenbahn und zwei Monitoren, auf denen jemand überlebensgroß - im Verhältnis zu der Spielzeugeisenbahn - gelaufen ist. Man konnte mit einem Trafo die Rechts-links-Laufrichtung auf den Monitoren bestimmen.
Die Installation Der Pilot (1987) basiert auf einem Briefwechsel, den Günther Anders mit Claude Robert Eatherly geführt hat, dem Piloten, der die Bombe auf Hiroshima auslöste. Eatherly hat sich später in der Anti-Atombewegung engagiert und wurde daraufhin psychiatriert. Der Pilot war eine Rauminstallation mit Bombergeräuschen, Zielbildern auf Monitoren, wie sie auch aus dem Golfkrieg bekannt sind, und Textzeilen aus dem Briefwechsel. Vier Lautsprecher, drei Monitore und eine Beam Projektion. Die Monitore lagen auf dem Boden mit der Bildfläche nach oben, auf die Bildfläche waren Kampfbomber geklebt, es ergaben sich abstrakte Bilder.
Collected Views (1990/91, mit Gerda Lampalzer): Die verschiedenen Sequenzen von Stadtbeobachtungen waren in Endlosschleifen montiert und wurden auf acht Monitoren gezeigt, auf jedem Monitor jeweils die Sequenzen einer Stadt. Alle 30 Sekunden gab es für eine halbe Sekunde ein Bild. Die Drehorte sind nicht nur exotische Straßenszenen, es kommt auch der Hamburger Hafen vor oder der Platz vor dem Cafe Hummel in Wien. Das sind Orte, wo Neuwirth in Ruhe in die Szenerie eintauchen kann. Mit dieser Art der Konzentration hängen auch die Hörstücke für Kopfhörer zusammen, die in Tibet entstanden sind (Barkhor round). Man begibt sich in eine Straßensituation und läßt sich auf die verschiedenen akustischen Reize ein wie auf eine Komposition.
Diese Zwei- bzw. Vielgleisigkeit in der Videoarbeit ist symptomatisch und ermöglicht auch einen formal strukturellen Zugang zu den Dokumentationen. Ich erinnere mich mit einer gewissen Beklemmung an die Diskussionen der frühen achtziger Jahre, als engagierte Dokumentarfilme nicht auch filmspezifisch analysiert werden konnten, weil beim ersten solchen Ansatz garantiert jemand aus dem Publikum oder vom Podium her gefordert hätte, lieber die Tarifverhandlungen des dokumentierten Betriebes zum Inhalt der Diskussion zu machen. Es sah so aus, als ob es schwierig werden würde, lustvolle, formal aufregende Dokumentationen in Österreich zu produzieren und trotzdem politisch und gesellschaftskritisch zu argumentieren und zu agieren. Nun könnte man erwarten, daß sich Manfred Neuwirth auch anderer Themen annimmt, die sich für ein zeitgenössisches Dokumentarprojekt geradezu anbieten: die neuen Rechtsradikalen, Europa, Fremdenhaß. etc. Aber er sampelt keine Themen nach ihrer aktuellen Attraktivität. Meist werden die Sujets an ihn herangetragen. Ich denke, daß er dann lange überlegt, ob es paßt: in seinen Lebensplan - das zuerst - und dann zu dem, was er allgemein mit seinen Filmen aussagen, erreichen will.
Vielleicht sollte man ihm keine prominentere Stellung in der österreichischen Filmszene wünschen, damit er weiter in Ruhe und Konzentration zwischen Tibet und Österreich pendelnd an seinen Langzeitprojekten arbeiten kann. Für Filme dieser Qualität würde man allerdings einen weiter sichtbaren Platz in der Kino-Fernseh-Medienlandschaft erwarten.
Gespräch mit Manfred Neuwirth
Wir sind bei den Stichworten des Anfangs. Was waren Ihre ersten Erfahrungen mit Film und Video?
Mit 15 habe ich meinen ersten 30minütigen Spielfilm gedreht. (Super 8 nachvertont). Ich war Autor, Regisseur, Kameramann und Hauptdarsteller. Es ging um ein Symbol, ein blaues Dreieck, dem sich die Hauptfigur immer weniger entziehen kann, einer massiven Propagandabotschaft für ein totalitäres System. Am Ende sieht man Menschen (meine erste Massenszene mit 15 Personen), die alle dieses Symbol auf dem Rücken haben, auch der Held ist angesteckt. Es gab auch ein Spielfilmprojekt auf der Schule in Berndorf, das war ein unverhofftes Freiraumerlebnis, eine Glückserfahrung: Da konnte ich in der künstlerischen Arbeit eine neue Kraft entdecken. Die ersten Filmeindrücke kamen vom Fernsehen. Dort habe ich Bunuel für mich entdeckt. Ich wollte alles von ihm sehen. Ich finde heute manchmal noch Zettel, auf denen ich mir zu seinen Filmen Stichworte aufgeschrieben habe. Zum Beispiel, daß Bunuel jeder Körperbewegung mit einer entsprechenden Kamerabewegung folgt. Es ging mir damals um den Spielfilm, der Dokumentarfilm war noch nicht so wichtig.
Dann Wien: Studium der Volkswirtschaft, Statistik, aber alles eher halbherzig, Informatik, dann Publizistik, aber auch das war nicht besonders praxisnah. Geschichte. Es herrschte damals diese vielzitierte Aufbruchsstimmung. Gruppen und Initiativen bildeten sich, die in die verschiedenen sozialen Bewegungen integriert waren: Anti-AKW, die Schwulen-Gruppen etc. Die liefen mit einem »Portapak« herum - das war diese erste mobile Videoaufnahmeunit - und glaubten an die direkte Einsetzbarkeit des neuen Mediums Video für die politische Arbeit. Besonders aktiv war z.B. die Grazer Medieninitiative. Früher oder später sind viele dieser Projekte gescheitert, weil es noch unfinanzierbar war, das viele Material weiter zu bearbeiten. In Wien gab es nur einen Schnittplatz bei den Architekten auf der Uni. Daraus ist dann diese pragmatische Idee entstanden, vernünftige Benutzerstrukturen zu schaffen. 13 Videogruppen haben sich zu einem Dachverband zusammengeschlossen. Das war ein Anfang.
Es ging damals weniger um das eigene Produzieren, als um eine umfassende politische Praxis, die auch die Medien eingesetzt hat. Ja, bei dieser Art der Medienarbeit tauchte dieses leidige Form-Inhalt-Problem auf. Natürlich lag für uns der Schwerpunkt ausschließlich beim Inhalt, das Entscheidende war, daß man überhaupt etwas gemacht hat, es gab kaum ästhetische Überlegungen. Wir waren nichts anderes als Sozialarbeiter der Medienverwendung. Damals haben sich die verschiedenen Initiativen als Auswirkung der Arenabewegung gleichzeitig entwickelt: Medienwerkstatt, damals noch Medienzentrum, Filmladen, Falter.
Die Arbeit im Medienzentrum zum Beispiel war so etwas wie ein Rückschritt nach der Filmarbeit. Es gab jetzt diese Kampfhaltung: Video gegen Film; Video das Medium für den direkten Dokumentarbereich mit dem Schwerpunkt auf politischen Inhalten, vor allem aber keine Auseinandersetzung mit formalen Problemen. Filmspezifische Fragen, die man sich bis dahin erarbeitet hatte, wurden irrelevant. Trotz dieses direkten Praxisbezugs wurde alles sehr kopflastig. Vorbilder waren Dziga Vertovs Kino Pravda, die Faktographie ä la Tretjakov. Sie arbeiten bei Ihren Projekten über die Jahre immer mit denselben Personen. Es gibt langjährige Produktionszusammenhänge, die funktionieren. Gerda Lampalzer und ich haben die gleichen Vorstellungen, deswegen machen wir immer wieder Projekte zusammen. Die Arbeit hat sich auch in einem größeren Lebenszusammenhang abgespielt. Wir haben zusammen gearbeitet und gelebt. Ferdinand Stahl war von Anfang an dabei, er hatte damals ein langfristiges Projekt, das die Selbstverwaltung im Amerlinghaus begleitete, Gerda Lampalzer kam über dieses Projekt sehr bald dazu, dann Ilse Gassinger und nicht viel später Anna Steininger. Auch wenn jetzt die Medienwerkstatt nicht mehr so intensiv als Kollektiv und als Lebenszusammenhang funktioniert, bestehen weiter intensive Arbeitszusammenhänge.
Bindet die Arbeit in der Medienwerkstatt Ihre Energien so, daß Sie weniger zum eigenen Produzieren kommen? Die Intervalle zwischen Ihren großen dokumentarischen Projekten sind recht lang.
Ich brauche Zeit für meine Filme. Am Film über Aids haben wir z.B. über zwei Jahre gearbeitet. Ich mache Vorrecherchen, ich spreche mit vielen Menschen, ich schreibe ein Skript. Das ist ein sehr konzentrierter, durchgeplanter Prozeß. Nach dem ersten Skript beginnt die Filmarbeit. Ich brauche Freiräume. Ich drehe, dann schreibe ich wieder. Dann kommt die Überarbeitungsphase. Die Gespräche für den Aids-Film haben schließlich über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren stattgefunden. Die tatsächlich verwendeten Interviews sind dann bei jeweils einem intensiven mehrstündigen Drehtermin aufgenommen worden. Ich hatte etwa fünfmal so viel Material, bis ich zu diesem eher radikalen, strengen Ansatz gekommen bin.
Ich kann alle zwei Jahre ein derart großes Projekt machen, nicht mehr. Wenn ich in meiner Filmographie alle Auftragsproduktionen mit aufzähle, dann würde sie sehr viel länger. Ich arbeite vor allem im Bildungs- und Sozialbereich an Dokumentationen, Kamera oder Regie. Derzeit stelle ich einem Multimedia Info Terminal für eine Behinderten-Organisation zusammen. Das ist eine brauchbare und sinnvolle Anwendung eines interaktiven Systems: Eltern und Angehörige von potentiellen Benutzern solcher Institutionen können sich über die verschiedenen Angebote informieren: Wie sehen die Räumlichkeiten aus, die Werkstätten etc.? Das wird eine interaktive Bildplatte. Oder: Ich habe einen zwölf Stunden langen Lehrfilm über die Feldenkrais-Methode für die Ausbildung von Therapeuten gemacht. Zum Glück kann ich mir die Themen aussuchen, ich muß nicht alles machen.
In Ihren dokumentarischen Filmen kommen immer nur »die Guten« vor, es gibt keine Kontroversen, keine provozierenden Gegenmeinungen.
Ich kann nur mit Menschen arbeiten, mit denen ich mich verstehe. Ich beherrsche diese provozierende Interviewtechnik nicht, bei der jemand quasi aufgemacht wird, bei der der »bad guy« sich selbst entlarvt. Ich will auch mit solchen Menschen nicht zusammenarbeiten. Ich möchte mich in einem Umfeld bewegen, das mein eigenes Lebensumfeld ist und das für mich positiv konnotiert ist.
Wie kam es zu dem Film »Vom Leben Lieben Sterben -Erfahrungen mit Aids«?
Walter Hiller hat einen guten Freund durch Aids verloren. Er hat mich gefragt, ob wir nicht zu diesem Thema etwas machen könnten. Ich wollte zunächst nichts damit zu tun haben, ich wollte mich mit so einem belastenden Thema nicht beschäftigen. Dann haben wir als ersten Kontakt Ernst kennengelernt, der seinen Lebensgefährten verloren hatte. Ich habe bei ihm gemerkt, daß man sich auch positiv mit der Krankheit auseinandersetzen kann. Das war eine gute Erfahrung. Schließlich hat es mich gereizt, ein Thema, das nur sensationell abgehandelt wird, positiv zu bearbeiten, mich mit Menschen zu befassen, die sich direkt in ihrem Lebenszusammenhang mit der Problematik auseinandersetzen. Wir haben uns für die Helfer interessiert, die »Buddies« von der Aids Hilfe, die freiwilligen Helfer, auch für Ärzte und Krankenschwestern aus der professionellen Ecke. Aber diese Gespräche haben wir dann nicht benutzt. Die waren zu vorsichtig, sie haben politisch argumentiert, das sind alles ganz fragile Strukturen. Sie haben nicht davon gesprochen, wie sie als Personen auf die Krankheit reagieren, sondern nur über den institutionellen Zusammenhang. Mir ging es allgemein um die Frage: Wie geht die Umwelt mit der Krankheit um?
Aber Sie haben auch einen HIV Positiven, einen Kranken, im Film.
Ja, er ist vier Monate nach den Dreharbeiten gestorben. Eigentlich wollten wir im Film keinen Kranken präsentieren, sondern nur Menschen, die indirekt mit der Krankheit durch ihre Lebenspraxis zu tun haben. Es bestand die Gefahr, daß das voyeuristische Bedürfnisse bedient: Hier schaut ihn euch an, so sieht jemand aus, der die Krankheit hat. Aber Walter hatte schon im Gefängnis eine Aids-Initiativgruppe gegründet, und wir wollten ihn dann doch im Film haben, weil er von seinem Engagement für Betroffene erzählen konnte.
Können wir über formale Aspekte des Films sprechen. Wie wurden strukturelle Entscheidungen getroffen, wie ist es beispielsweise zu der Kadrierung gekommen?
Die Kadrierung ergab sich aus der Gesprächshaltung. Die Hände z. B. waren mir nicht so wichtig. Ich habe darauf geschaut, wie ich das Kraftfeld am besten konzentriere. Es ging um die konzentrierte lnterviewsituation. Die Winkel sollten klar sein, die Kamera zentriert, es sollte jeweils eine genaue Festlegung der Einstellungsgröße geben. Es war mir wichtig: Ich will nicht nachziehen, die Kamera nicht schwenken, kein Zoom auf das Gesicht zu, wenn sich eine besondere emotionelle Situation ergibt. Also muß ich mir die Leute vorher genau anschauen, wie sie sich bewegen, danach definiert sich die Einstellungsgröße. Die Form der Kadrierung sollte durch das ganze Gespräch strikt durchgehalten werden. Die Schwarzkader zwischen den Gesprächsteilen sind gleich lang, nur vor den Kapitelüberschriften, diesen drei eher abstrakten Blicken, da sind sie länger. Diese Blicke sind jeweils eine sehr langsame Überblendung von Naturstrukturen, Baumrinden etc., zehnmal übereinander geschichtet, das ergibt dann ein organisches filigranes Netz, Muster, die vor dem Auge leicht verschwimmen. Das sind Atempunkte. Das sollte für den Zuschauer signalisieren, jetzt kommt nichts, der Blick geht nur bis zu diesem Fensterkreuz. Jetzt muß sich der Zuschauer mit sich selbst beschäftigen. Das ist ein starker Schnittpunkt. Mein eigener Blick ist jetzt Thema. Ich kann nun versuchen, das, was ich gesehen habe, in meine kognitiven Strukturen einzubauen. Auf eine nicht metaphorische Art wird die langsame Veränderung des Blicks gezeigt, eine allmähliche Verschiebung. Auch mein Blick hat sich während der Filmarbeit langsam verändert. Das wäre nicht passiert, wenn ich den Film in zehn Wochen abgedreht hätte. Das ist ein entscheidender formaler Schritt. Das Schlüsselerlebnis für mich bei dieser Produktion war, daß man lernen kann, Aids anders zu sehen.
Ist das ein aufklärerischer, pädagogischer Ansatz?
Nein, durchaus nicht. Ich möchte zuerst an mir erleben, wie ich mich verhalte, und das zeige ich. Die Veränderung muß erst in mir stattfinden, ich kann nur aus meinem Lebensumfeld arbeiten, hier muß sich etwas verändern, etwas in Bewegung geraten. Der Film ist die direkte Umsetzung des Erlebnisses dieser Veränderung. Das kann ich anbieten, das kann ich zeigen. Aufklärung ist für mich zu sehr mit dem Gedanken dieser alten Medienarbeit verbunden und von daher negativ konnotiert. Ich muß aus dem eigenen Leben schöpfen, nur so mache ich Filme. Ich lebe, und erst dann werden Themen für Filme an mich herangetragen, die kommen zu mir. Ich suche keine Themen für Filme, damit ich leben kann. Aber auch wenn die Projekte an Sie herangetragen werden, gibt es doch sicher Themen, an denen Sie mehr oder weniger interessiert sind. Mein eigentliches Thema sind immer wieder die Grenzüberschreitungen in jeder Form. Mich interessieren vor allem die Mischformen in den Medien, die verschiedenen Technologien, der Experimentalfilm - das, was auf der Kippe ist. Derzeit arbeite ich in Tibet. Ich bin jedes Jahr so etwa zwei bis drei Monate »oben«. Aus meinen Erfahrungen dort haben sich verschiedene Projekte ergeben: Die Hörstücke Barkhor round und das Tibetische Tagebuch. Das sind Bilder aus der Alltagswelt in einer Videokompilation. Ich arbeite mit Zeitdehnungen. Eine Einstellung in Zeitlupe geht fließend in die nächste Einstellung über. Die vier Begriffe, die im Tibetischen für »Fernsehgerät« stehen, sind übrigens: »Form«, »Sehen«, durch »die Atmosphäre« »übertragen«. Diese Arbeit wird im Sommer 1995 im Depot in Wien gezeigt. Nach dem Tibetfilm von Jürg Neuenschwander Shigatse, bei dem ich Kamera gemacht habe, war bei Diskussionen die häufigste Frage: Was ist nun eigentlich die tibetische Medizin? Und darüber will ich arbeiten. Die Situation in Tibet wird für die Tibeter immer schwieriger. In Lhasa gibt es bereits 300.000 Chinesen und nur noch 80.000 Tibeter. Es hat zwar eine gewisse Liberalisierung in der Religionsausübung gegeben, aber sonst hat sich die Situation eher verschlechtert. Die Leute kommen für Lappalien ins Gefängnis. Da gab es diese sieben Nonnen, die bei einer Demonstration die tibetische Fahne gezeigt haben, sie sind zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Da ist es dann besonders unverständlich, wenn man bei diesem absurden Demonstrationsverbot anläßlich des Besuchs von Li Peng in Wien sieht, wie Polizisten zwei tibetische Frauen regelrecht jagen, die nur ein Schild mit einer tibetischen Aufschrift tragen. Bisher sind meine Arbeiten dort Vorstadien, Recherche, Materialsuche. Ich weiß noch nicht, wie das weitergehen wird. Wenn ich das Projekt mit Drehgenehmigungen offiziell durchziehe, wird es teuer und schwer finanzierbar. Bisher arbeitete ich mit HI-8, das ist ident für die unerwarteten Momente, die dann so spannend sind, daß man sie doch irgendwann einmal verwenden wird. Da war zum Beispiel eine Szene, so ein langer Marsch von Menschen auf einen Berg hinauf, sie waren auf dem Weg zum Heilkräutersammeln, und dann ergab sich eine Situation mit singenden Nonnen, ein Picknick, das will ich unbedingt verwenden. Ich filme in Tibet in einer Schule auf dem Land, in der traditionelle Mediziner ausgebildet werden. Da haben sich Kontakte ergeben. Der Arbeitstitel des Films ist Geschichten vom Medizinbaum. Die Tibeter vermitteln ihre Ideen und ihr Wissen in der Form von Geschichten. Der Baum mit seinem Stamm, den Ästen bis hin zu den feinsten Verzweigungen ist die Visualisierung der verschiedenen medizinischen Richtungen. Dieses Strukturprinzip möchte ich in meinem Film aufnehmen. Momentan bin ich mit dem Drehbuch beschäftigt.
Wie sehen Sie Ihre Stellung innerhalb des österreichischen Films?
Das Medium Video existiert in der Öffentlichkeit nicht. Nur die Arbeiten, die »gefazt« ins Kino kommen, sind überhaupt wahrgenommen worden. Ich werde eher als Dokumentarfilmer eingestuft, das trifft nur bedingt zu. Ich kann mich aber auch auf die Kunstszene, in der ich auch operiere, nicht festlegen lassen. Ich will konsequent alles ausprobieren. Asuma (der erste Film über das Behindertenprojekt in Luxemburg) ist hier nie im Fernsehen gelaufen. Wir hatten gedacht, als der Film in Belgien mit einem Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, daß nun vielleicht auch im österreichischen Fernsehen Interesse bestünde. Da haben wir uns geirrt. Es gibt bekanntlich keine Schiene für den Dokumentarfilm. »Alles, was über 45 Minuten läuft, ist langweilig«, soll ORF-Abteilungsleiter Alfred Payrleitner einmal gesagt haben. Die Filme sind im französischen, belgischen, deutschen Fernsehen gelaufen. Im ORF gibt es kein kontinuierliches Interesse an solchen Arbeiten, so eine Zusammenarbeit hat sich nicht entwickeln können. Die »Kunststücke« sind da eine Ausnahme. Vom Leben Lieben Sterben und auch andere Dokumentarfilme sind in diesem Programm gesendet worden. Aber trotzdem ist die Arbeit mit Video die Produktionsweise, die für mich am adäquatesten ist. Ich bestimme mir meine Produktionsbedingungen selbst. Ich bin Produzent, Kameramann und Regisseur. Ich kontrolliere die Produktion. Aber in den öffentlichen Kanälen ist man durch die Produktion mit Video deklassiert. Die Videokunst existiert für eine breitere Öffentlichkeit überhaupt nicht. Und die Mischung, die ich verkörpere: dokumentarische Videoarbeiten und künstlerische Installationen, die gibt es kaum, und die ist in die öffentliche Resonanz kaum integrierbar. Auf keine bestimmte Kategorie festgelegt zu sein, ist aber eine Chance: Als Autor, der mit Medien arbeitet, muß und will ich alle Möglichkeiten ausprobieren und wahrnehmen. Zurück zur dokumentarischen Arbeit: Ein Problem ist, daß man nur Situationen filmt, in denen die Kamera präsent ist, also gibt es nie eine Wirklichkeit ohne diese Form der Inszenierung. Gerade bei unseren Filmen mit den Behinderten spielte die Präsenz der Kamera keine Rolle. Denen ist das ganz wurscht, daß da jemand filmt. Man wird so genommen, wie man ist, ob man dann noch ein Gerät auf der Schulter hat, ist völlig egal. Außer bei den Selbstinszenierungen, aber dann war es darauf angelegt. Allgemein habe ich die Erfahrung gemacht, daß der Faktor Zeit eine große Rolle spielt. Wenn man sich lange Zeit nimmt, dann wird irgendwann die Kamera unsichtbar: Alle verhalten sich relativ normal, es geschehen Dinge, ohne daß die Kamera eingreift, ohne daß sie von der Kamera provoziert sind. Wir haben den Film auf vielen Veranstaltungen gezeigt und diskutiert, und es war interessant, weil er als Spiegel funktioniert hat, wie die Menschen mit Behinderten umgehen. Eine Haltung war etwa so: »Das gibt es nicht, das kann nicht so entspannt und lustig sein, wie ihr es darstellt, zeigt auch etwas Kritisches«. Das waren die Sozialarbeiter, für die war das provozierend. Aus der eher politischen Ecke kam der Vorwurf: »Ihr könnt nicht zeigen, wie angenehm das Leben für diese Minderheit potentiell sein kann, das ist angesichts der politischen Verhältnisse und Ausgrenzungen inakzeptabel«.
Aber es gibt im Film durchaus auch eine negative Szene, diese Beißszene, wo ausgerechnet der junge Dichter Jean, der so viele Sympathien auf sich zieht, durchdreht.
Ja, wir haben uns diese Szene oft in Zeitlupe angeschaut, und sie wurde für uns immer problematischer. Sein Verhalten hatte so etwas Tierisches, seine Bewegungen, die Töne, die er von sich gibt. Wir waren verunsichert, ob das denunziatorisch ist, wenn wir ihn so zeigen. Aber ich denke, daß es enorm wichtig ist, daß die Szene jetzt so im Film ist. Das bedeutet auch, daß man den Menschen ihre Krankheit läßt, daß man nicht den harmonisierenden Eindruck erwecken will, daß alles okay ist. Alle Schwarz/Weiß-Teile im Film sind übrigens von Jean gefilmt, er hat sich ganz selbstverständlich mit der Kamera bewegt. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen waren für uns sehr aufregend. Allein die Szene, in der er zum ersten Mal filmt und die Verschlußkappe nicht abnimmt: Er sieht nichts, dann nimmt er die Kappe ab und sieht etwas, aber gleich macht er den Verschluß wieder zu, weil ihn eher dieses Sehen-und-Nichtsehen beschäftigt. Mich hat damals die besondere Lebenssituation interessiert. Das war eine der intensivsten Zeiten meines Lebens, es wird immer schwieriger so einen Lebens- und Arbeitszusammenhang zu finden. Aber ich bin immer auf der Suche nach genau so einer Situation. Wenn ein Film daraus wird, ist es gut, aber ich kann nicht in erster Linie in Strategien der Filmverwertung denken. Es geht immer erst um Fragen des Lebenszusammenhangs.
Ist die Medienwerkstatt in der veränderten Medien- und auch Politlandschaft nicht ein wenig abgenutzt, wenn nicht gar am Ende?
Durchaus nicht. Die unabhängige experimentelle Videoszene ist am Ende. Die politische Kraft dieser Art von Medienarbeit gibt es nicht mehr. Die jungen Videokünstler probieren jetzt eher alles aus, was so an Computerkunst möglich ist. Die »Video Edition Österreich«, die die Medienwerkstatt zusammengestellt hat, gibt einen umfassenden, fast schon historischen Überblick über die Periode der unabhängigen Videoszene. Tatsache ist, daß sich die unabhängige Videoszene im Sinn einer Gegenstrategie zum Fernsehen mehr oder weniger aufgelöst hat. Es ist auch fast Ironie, daß z.B. ein Mitglied einer besonders radikalen Videogruppe in Freiburg jetzt einen Oscar bekommen hat. Die hätten früher nicht im Traum daran gedacht, fürs Fernsehen zu arbeiten. Aber die Medienwerkstatt funktioniert nach wie vor als wichtiger Standort für unabhängige Produktionen in den Bereichen Video, Film, Multimedia. Es besteht ein enger Zusammenhang mit LOOP TV-Video-Film Produktion: Das professionelle Aufnahmeequipment ist der Bereich der Loop GesmbH und die Postproduktion, Schnitt, etc., das ist das Ressort der Medienwerkstatt.
Sie arbeiten auch im Multimedia-Bereich?
Ich habe gerade eine Produktion mit dem Titel Bildermacher fertiggestellt. Es geht um Bildtechnologien. Ein Schlüsselerlebnis dazu war für mich der Film Der Riese von Michael Klier mit Bildern von Überwachungskameras. Ich frage mich: Wie sehen die diversen Bildmaschinen 15 Jahre später aus? Es gibt die verschiedensten Bildproduktionen, man kann Kameras in Körper einführen, der Chirurg wird zum Kameramann, oder Ultraschall- oder Satellitenbilder. Im letzten Jahrzehnt hat die allgemeine Bildproduktion enorm zugenommen. Die gesellschaftliche Interpretation läuft weitgehend über die Bilderproduktion. Ich arbeite an einem Panoptikum von Bildern. Auf einem Touchscreen gibt es 16 verschiedene Bildmaschinen zu sehen. Man kann z. B. das Stichwort »Ultraschall« anwählen, eine Ärztin gibt ein kurzes Statement zur Methode, dann sieht man wie die Ultraschallbilder ausschauen, dann schließlich die Maschine, den Apparat selbst. Zusätzlich gibt es noch ein Feld für einen kurzen ergänzenden Text, eine Art Randbemerkung. Der Bereich der bildproduzierenden Maschinen hat mich immer fasziniert. Mein Vater hatte früher zuhause die neuesten Kameras und Geräte herumstehen. Die haben mich schon damals sehr interessiert.
Jetzt ergeben sich Fragen für mich: Wie verhalten sich die involvierten Personen zu den Bildern? Aber auch umgekehrt: Was bedeuten die Bilder für die Menschen?
Da gibt es ganz wahnsinnige Sachen: zum Beispiel diese besondere Art der Sporthypnose. Erst erfolgt eine Aktivierung durch eine bestimmte Art des autogenen Trainings, dann werden Bilder und Geräusche von Jubel- und Begeisterungsszenen damit gekoppelt. Die psychische Stimulation wird dann vor dem eigentlichen Wettkampf nur durch die motorischen Bewegungen aktiviert. Diese Methode wird auch im Astronautentraining verwendet, um den Erlebnishorizont in der Raumkapsel zu vergrößern. Es werden Bilder über die Motorik produziert. Das ist ein zentrales Beispiel, was mit Bildern passieren kann. Es entsteht eine Mischung aus Fiktion und Nichtfiktion, die mich interessiert. Auch von den Spezialisten, die an parapsychologischen Phänomenen interessiert sind, übernehme ich einen Bilderproduzenten, Herrn Reiferer. Er richtet seine Kamera auf den Fernseher und nimmt die unendlichen Rückkoppelungen auf. Dann analysiert er die Einzelbilder der Rückkoppelungen und plötzlich erkennt er Gesichter etc., ein ähnliches Phänomen gibt es bei den Tonbandstimmen, da hören Eingeweihte Antworten auf gezielte Fragen im Grundrauschen. An solchen Bildproduktionen werde ich in den nächsten Jahren sicher verstärkt arbeiten. Ich selbst mache die Videos und arbeite mit jemand zusammen, der das in ein interaktives System einspeichert. Da ich nicht mehr diesen ultimativen Gestaltungswillen habe, erscheint mir gerade der interaktive Zugang äußerst wichtig: Ich biete etwas an. Die endgültige Regie oder die Bildkombinationsmöglichkeiten bleiben dem Zuschauer überlassen.
Betrachten Sie sich als politisch agierenden Autor/Künstler?
Mir schwebt vor, weniger aufklärerisch in der Gesellschaft zu operieren als eher subversiv. Also weniger auf einer direkten gesellschaftskritischen, politischen Ebene zu powern, sondern eine Stufe höher. In anderen Gesellschaften weiß man vielleicht noch genauer, wo der Feind steht, da kann man unmittelbarer handeln. Bei uns ist ein subversiver gesellschaftlicher Ansatz inzwischen kaum zu finden. Aber diese Herangehensweise ist in der Arbeit zu verwirklichen, und sie soll Spaß machen. Natürlich gäbe es in unserem sozialpartnerschaftlichen Klima viele Themen, die man behandeln könnte. Aber aktuelle, politische, kritische Analysen sind nicht gefragt. In Österreich vermeidet man die Auseinandersetzung, bzw. man sucht sie nicht. Es gibt keine allgemeine Diskussion über gesellschaftliche Themen. Natürlich bleibt auch die Frage, ob die eingefahrenen Förderungsstrukturen solche Auseinandersetzungen nicht eher verhindern. Es gibt z. B. auch keine wirkliche Diskussion über das Thema Aids. Das wird in Schlagzeilen abgehandelt: »Wieder 60% Aidsfälle mehr«. Niemand kann damit etwas anfangen. Es gibt keine wirklich ernstzunehmenden Gegenpositionen in der öffentlichen Diskussion. Der Film über den Truppenübungsplatz war vielleicht so eine subversive Arbeit. Ein Film, der in der Region gewirkt hat. Und er ist sechs Wochen in Wien im Kino gelaufen.
Jetzt kommt noch das obligatorische Abchecken der Vorbilder. Bunuel haben Sie schon erwähnt. Ich weiß, daß Sie Bresson schätzen, der in radikaler Sehweise auch dokumentarisch arbeitet. Welche anderen Dokumentarfilmer sind Vorbilder für Sie?
Natürlich ist Chris Marker ein großes Vorbild. Nicht nur Sans Soleil, sondern besonders auch der Film über die vier verschiedenen revolutionären Bewegungen: Vietnam, Kuba, Prag, Frankreich. Marker bündelt die Summe seiner Erfahrungen in seinen Filmen. Wichtig ist für mich auch Johan van der Keuken. Er verkörpert das Prinzip des Autorenfilmers. Der Film über die Brassbands ist sensationell. Wie hat er das gedreht? Geschnitten? Das ist mit einer Präzision gemacht, unglaublich. Van der Keuken hat übrigens diesen leicht pädagogischen Gestus, aber vielleicht ist das im weltoffeneren, liberaleren holländischen Kontext eher annehmbar.
Birgit Flos