Die Region und das Zentrum |
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Ein Gespräch mit Manfred Neuwirth
von Gottfried Schlemmer
Ihr Film "Erinnerungen an ein verlorenes Land" rekonstruiert die Geschichte des Truppenübungsplatzes Allentsteig. Es ist ein Film einer Region. Wie würden Sie den Begriff "regionale Filmarbeit" definieren?
Regionaler Film kann nur außerhalb der Zentren gemacht werden. Es sind Filme, die außerhalb einer herrschenden großstädtisch industriellen Denkweise hergestellt werden. Viele Filme, die ich kenne und die ich als regionale Filme einteilen würde, sind Filme, die auch geschichtlich zurückgehen. Einerseits mit einem nostalgischen Blick, d.h. in dem Sinn, daß man die eigene Geschichte wiedererlebt, andererseits, daß die Probleme, die diese Regionen haben, aufgearbeitet werden. Sozusagen die positiv nostalgische Sicht gibt es für mich in der Weise, als es ein Erinnern an die eigene Jugend oder Kindheit ist. Und das ist es auch, was beim Zuseher sehr oft auch die Emotionen anspricht.
Regionale Filmkultur hängt sehr stark damit zusammen, daß man als Filmemacher in einem Territorium verankert ist, d.h. nicht, daß ich dort aufgewachsen sein muß, sondern daß ich mir Zeit nehme, dort hinzugehen, um mich wirklich mit einer regionalen Struktur auseinanderzusetzen und daraus langsam eine Geschichte zu entwickeln. Es muß nicht ein Dokumentarfilm sein. Für mich ist es nur ein wichtiger Faktor, an etwas teilzuhaben. Vor allem ist die Vorbereitungszeit das Entscheidende, und daß ich mein Interesse da miteinbinde um nicht dem Ganzen etwas aufzustülpen. Ich muß versuchen, Stimmungen aufzunehmen. Das ist für mich der richtige Ansatz. Es wäre falsch zu definieren, es könnte ein Regisseur nur dort Filme machen, wo er groß geworden ist. Es geht darum, seine eigene Geschichte in die Region mitzunehmen und trotzdem aufzunehmen, was dort läuft.
In welcher Weise steht eine solche Haltung im Gegensatz zum Blut- und Bodenkult der Nationalsozialisten, die ja von einer Verwurzelung des Menschen in einem bestimmten Bereich gesprochen haben?
Meine Position ist, wenn ich regional Film mache, mein Verständnis, daß es solche verwurzelte Leute gibt, für die ich mich interessiere. Ich bin sozusagen der Springer zwischen den Kulturen. Mein Interesse besteht natürlich auch darin, so etwas zu erleben, nämlich daß es eine Verwurzelung überhaupt noch gibt. Das ist natürlich auch eine Suche nach meiner Verwurzelung, nach meiner eigenen Geschichte, nämlich in Niederösterreich aufgewachsen zu sein, in Wien studiert zu haben und so die Faszination der Großstadtkultur erlebt zu haben, dann aber an einem bestimmten Punkt es nicht mehr ausgehalten zu haben, in Wien zu sein.
Ich fühlte mich daher auch fasziniert von den Leuten, die also wirklich noch mit ihren Regionen verwurzelt sind. Mit der Suche ist jeder von uns beschäftigt. Heimat kann, optisch umgesetzt, sein: bestimmte Tapeten, Häuser, an die man sich erinnert, bestimmte dörfliche Strukturen, bestimmte Gerüche, die man selbst erlebt hat. Danach ist jeder, so glaube ich, noch heute auf der Suche. Die 68er Bewegung hat immer alles abgewertet, was in diese Richtung ging, man war immer nur orientiert am Internationalismus. So war das auch in den 70er Jahren, und die Rückbesinnung ist erst gekommen, sagen wir, in den frühen 80er Jahren.
Alles, was mit Heimat zu tun hatte, wurde abgelehnt. Die Rückbesinnung ist erst 10 Jahre später passiert. So ähnlich verlief auch meine Geschichte.
Also ich glaube, Verwurzelung darf sich nicht verselbständigen. Denn sonst würde ja der, der von außerhalb kommt nicht akzeptiert werden?
Wenn ich eine Region gehe, dann gehe ich ja nicht davon aus, daß das Menschenbild durch so eine Blut- und Bodenideologie geprägt ist. Ich weiß, daß ich dort der Fremde bin. Ich versuche, Gespräche zu führen und Ideen aufzunehmen. Konsequenter sind z.B. die englischen Workshopmodelle, wo Filmemacher in lokalen Medienzentren arbeiten und sich ganz speziell den Problemen der Region stellen. Das ist eine Stufe weiter, auf der ich nicht bin. Ich bin eher ein Heimatloser. Für mich ist wichtig, in die Region zu gehen und eine bestimmte Form sozialer Kontakte zu finden, die es in der Großstadt nicht mehr gibt. Also ich bin nicht der, der in einer Region arbeitet und glaubt, ich könnte mit meiner Filmarbeit etwas dazu beitragen, damit dort mehr Bewegung oder kulturelles Engagement entsteht.
Arbeitet niemand in Niederösterreich regional?
Meines Wissens nicht. Der Ansatz war vor 10 Jahren da, regionale Filmarbeit mit Hilfe eines Medienbusses in Niederösterreich. Und als das Projekt dann ins Laufen kam, hoffte man auf die sogenannte Selbsttätigkeit der Leute und das war ein falscher Ansatz. Ein Medienzentrum müßte so eine Art Startpunkt sein, allerdings besetzt mit Filmemachern, die sich schon aktiv mit der Region auseinandersetzen, so daß Leute, die eine Ausbildung wollen, mitarbeiten können.
Das wäre auch ein medienpädagogischer Ansatz, so könnte sich jeder, der will, mit seiner Umwelt filmisch auseinandersetzen.
Wenn man in einer bestimmten Landschaft großgeworden ist, dann wir das im regionalen Filmschaffen wohl auch eine Rolle spielen?
Für mich war das auch eine schöne Erfahrung. Ich habe mit einem Freund auf einer Alm gedreht, die schön über der Baumgrenze war, da habe ich genau gemerkt, daß das nicht meine Landschaft ist. Ich hatte da wirklich Probleme, denn ich bin so der hügelige Typ aus dem Weinviertel. Aber wenn ich den Punkt gefunden habe, warum es nicht funktioniert, dann dreht es sich wieder um. Es ist wirklich was Fremdes, und ich setze mich jetzt damit auseinander, dann finde ich auch die Bilder wieder.
Ist das Finden von Bildern nicht auch eine Form des Sichwiederfindens?
Ja, für mich ist das Erinnern in jeder Form. Dieses Erinnern an die Quellen, welches ich zwar nicht bewußt reflektieren kann, aber es gibt Bilder, die ich sehe, das Erinnern an die dörfliche Struktur, wo ich aufgewachsen bin. Das hat mit meiner eigenen Geschichte zu tun. Das zu finden, hängt sicher mit der intellektuellen Auseinandersetzung, aber auch mit einer gefühlsmäßigen zusammen. So daß eine Bekannte über "Erinnerungen an ein verlorenes Land" gesagt hat: das ist das Waldviertel, wer sich den Film anschaut, erkennt für sich gefühlsmäßig die Wohnung wieder, die Tapeten, die Anstriche. So ist das mit meinem Erinnern. Das hat nichts mit speziellen Landschaften zu tun. Einige karge Bilder können diese Erinnerungen wieder hervorrufen. Und für mich persönlich ist es diese Reflexion, und das ist auch mein Heimatbegriff.
Hat das mit einer Suche zu tun?
Ja schon. Für mich ist Filme machen immer eine Suche.
Ist regionale Filmarbeit nicht auch eine politische Arbeit?
Ja, für mich unbedingt. Ich muß natürlich die Probleme z.B. die bäuerlichen Strukturen oder Umweltfragen bei meiner Arbeit mitreflektieren. Hinter jedem Film von mir ist ja auch ein politisches Interesse. Das hat jeder. Ein Regisseur, der sagt, er hat das nicht, dem glaube ich nicht.
Politisches Interesse ist auch Ihrem Film „Erinnerungen an ein verlorenes Land” anzumerken. Was für eine Idee stand da am Anfang?
Die Idee ist von einer Geschichte ausgegangen, die ich erst vor ca. 3 Jahren erfahren habe. Ich war erstaunt, daß ich als Niederösterreicher davon gar nichts gewußt habe. Das war erschütternd, die Erfahrung, daß es da ein großes Stück Land - den Truppenübungsplatz Allentsteig - gibt, eingezeichnet auf der Landkarte, welches wirklich geschichtslos ist. Das war die erste Auseinandersetzung, wo ich merkte, halt, das Land hat Geschichte, es hat mit dem "Anschluß" zu tun und dadurch mit verdrängter Geschichte. Das war die erste Idee. Das andere hat sich aus persönlichen Kontakten ergeben. Ich lernte Leute kennen, die sich schon länger mit dem Thema auseinandersetzten und die auch in einer Kulturinitiative arbeiteten. So ist die Idee, daß es ein Film werden soll, nicht von mir ausgegangen, sondern sie ist an mich herangetragen worden. Und das finde ich auch immer einen guten Ansatz. Ich bin froh, daß man nicht selbst suchen muß, sondern daß man auch mit einem Thema konfrontiert wird und sich langsam hineinwühlen kann. Hauptansatzpunkt war aber sicher diese Überraschung, und daß man davon überhaupt nichts weiß und auch in der Schule nicht davon hört.
Sind Sie bei der Filmarbeit darauf gestoßen?
Eigentlich durch Zufall. Ich habe im Waldviertel einen Medienkurs gegeben und da habe ich dann die Leute kennengelernt, die mir davon erzählt haben.
Und wie ist das dann weitergegangen?
Aus den persönlichen Kontakten hat sich eine Vierergruppe gebildet. Wir machten zusammen einen ersten Entwurf, wobei jeder seine persönlichen Interessen einbringen konnte, bzw. was im Film drinnen sein sollte. Das war ein wüstes Konzept. Wichtig war, daß Friedrich Polleroß, ein Kunsthistoriker an der Universität Wien, mitarbeitete, der aus der Gegend stammt, aus Neupölla, und der sich schon lange mit diesem Problem beschäftigte und auch schon eine Ausstellung organisiert hatte. Der war für mich der absolute Glücksfall, weil er dadurch schon viele Leute kannte. Ohne ihn wären die Gespräche sicher auch nicht in dieser Form möglich gewesen. Kontakte, die man sich als Filmemacher ja nur wünschen kann: also daß schon vor Beginn der Dreharbeiten ein Grundstock von Leuten da ist, die man ja braucht, wenn man an Ort und Stelle geht und filmen will. Diese Phase hätte ich sonst noch viel länger einplanen müssen. Das war der Ausgangspunkt, wo wir uns gesagt haben, wir fangen jetzt einmal mit den Gesprächen an und versuchen, aus diesen Erzählungen die Hauptrichtung herauszukriegen, nämlich was die Leute erlebt haben. Der Ansatz war also ein bißchen weitreichender, als das im endgültigen Film dann geworden ist. Es hat aber auch damit zu tun, daß diese Erzählungen für mich einfach so wichtig geworden sind. Dann bin ich hinaufgefahren und konzentrierte mich nur auf die Landschaft. D.h. ich bin 2 Wochen nur herumgefahren, suchte Einstellungen, wartete auf schlechtes Wetter und auf ähnliche Dinge.
Es gab dann noch ein Problem - können wir überhaupt "drinnen" filmen. Das war dann zweimal möglich, daß wir in das Gebiet zum Filmen hinein konnten. Eine Landschaft, wie die des Truppenübungsplatzes, entzieht sich ein bißchen der Reflexion über das Ganze, weil Teile davon verwilderter Urwald sind. Man kann halt sehr schwer mit solch einer romantischen Gegend die Problematik darstellen.
Deshalb haben wir versucht, nur ganz bestimmte Bilder, zum Teil elektronisch verfremdet, einzusetzen und nicht Bilder mit Lupinien, denn große Teile des Truppenübungsplatzes werden nicht für militärische Geschichten genutzt. Es war daher lange unklar, wie wir das - sozusagen die Landschaft - in den Griff bekommen könnten. Wir haben sie sehr sparsam eingesetzt und ein bißchen mit Verfremdung gearbeitet. Als wir bereits fünfzehn Gespräche aufgenommen hatten, wurde mir klar, daß es hauptsächlich um das Erinnern dieser Leute gehen müßte, daß das Entscheidende zu sein hätte. Daß ich da nicht moralisch werten und dem Ganzen eine politische Stellungnahme drüberstülpen dürfte.
Ich ließ auch jeden Kommentar weg, also auch den essayistischen Kommentar und machte nur ganz einfache Lauftitel, um die Geschichte zu erklären. Von daher auch die Entscheidung, keine professionelle Kommentarstimme dazwischenzusetzen, um nicht die Erzählungen ganz anders zu gewichten.
Ein weiteres Problem war, den Rhythmus zu finden. Wir haben oft 4 - 5 Stunden mit den Leuten aufgenommen. In die Gespräche wurde kaum eingegriffen, die Leute konnten wirklich ausufernd erzählen. Das zu verdichten war ein langer Prozeß, d.h. ich beschäftigte mich sehr intensiv mit den Texten, um sie sowohl inhaltlich, als auch emotional stimmig zusammenzukriegen.
Das führte dazu, daß man sich dann auf 10 Leute konzentrierte und versuchte, sie in verschiedenen Stadien, die der Film beschreibt, ihre Geschichten erzählen zu lassen. Das war die Brücke, um die Erzählweise der verschiedenen Personen über die geschichtlichen Ereignisse im Film zu haben. Natürlich hatten wir Glücksfälle, wie z.B. eine Frau, die lebendig und auch noch dazu in einem speziellen Dialekt erzählt, den es jetzt kaum mehr gibt. Also, das ist das, was ich als Erinnerung begreife.
Sie sagen oft wir, wer war da noch dabei?
Neben Fritz Polleroß war noch Janos Karas, ein Soziologe, der auch schon im Waldviertel soziologische Studien gemacht hat. Weiters Wolfgang Müller-Funk, ein Radiomensch, der kulturelle und wissenschaftliche Sendungen macht und Bücher herausgibt, ein Germanist und Organisator der Waldviertelakademie. Diese plante ein Symposion zum Thema "Truppenübungsplatz", zur Geschichte und auch zu den Auswirkungen bis heute. Und da war auch die Idee, daß man das Filmmaterial zeigen könnte. Die filmische Gestaltungsweise blieb allerdings absolut mir überlassen.
Gab es ein Drehbuch oder etwas Ähnliches?
Nein, es gab ein Treatment und wir sammelten sowohl schriftliches als auch Bildmaterial. Ich konnte auf sehr viele Fotos zurückgreifen, die dann als historische Fotos im Film aufgenommen worden sind. Es geht immer darum, ein Treatment, einen Entwurf zu haben, der einen Ansatzpunkt bietet, um bei der Filmarbeit etwas weiterentwickeln zu können. Es ist das Prinzip der Offenheit, in eine Region zu gehen und dann aus einem Thema etwas zu entwickeln. Und wenn ich mir das Treatment jetzt anschaue, sind davon 20% verwirklicht. Am Anfang war es ein bißchen ausufernd, man streicht und minimiert dann, bis es zu einem klaren Film kommt.
Trotzdem möchte ich noch einmal fragen. Sie hatten ein Treatment, das war ein gewisser Anhaltspunkt, wie man weiter vorgehen kann. Dann sammelten Sie Material. Wie brachten Sie das in eine Relation? Wurde diese Arbeitsphase wieder schriftlich fixiert?
Von allen Gesprächen wurden sofort Abschriften gemacht. Später habe ich dann gewichtet, wo man bei anderen Personen weiter nachfragen müßte. So wollten wir die Geschichte von Julius Scheidl drinnen haben, der im KZ umgekommen ist. Er war einer, der keinen offensichtlichen Widerstand geleistet hat, sondern individuellen - da er von der Aussiedlung betroffen war, hat er immer geschimpft und ist deshalb "vernadert" worden. Das hat damals genügt, um im KZ zu enden.
Diese Geschichte ist teilweise nicht greifbar geworden. Uns ist aufgefallen, daß da sehr viele Gerüchte im Umlauf waren und wir haben gemerkt, daß wir das filmisch nicht in den Griff bekommen würden. Wir haben uns noch mal mit der Tochter und dem Sohn unterhalten und es war uns bewußt, die müssen wir nun sehr klar und gezielt auf diese Geschichte hin befragen. Bei den Interviews haben wir die Frage noch einmal von einer anderen Seite gestellt und dabei schon mitgehört, wie wir es im Film brauchen würden. Nicht, daß man die Leute unterbrochen hätte, sondern sie wurden von verschiedenen Ecken her befragt. Wir versuchten, den Handlungsfaden irgendwie hineinzubringen. Das war eine Strukturierung, eine zweite ergab sich nach der ersten Interviewrunde, Nazis, Entsiedelung 38-42, eine Widerstandsgeschichte, damit man auch weiß, daß da nicht nur alle "hinausgerannt" sind, sondern, daß es Formen des individuellen Widerstands gegeben hat, dann die Zeit der sowjetischen Besatzung und weiters die Republik und der moralische Punkt, was die Republik mit dem Erbe der Nazis gemacht hat. Von daher war es uns klar: um die Geschichte transportieren zu können, müssen wir nach den historischen Epochen strukturieren. 7000 Leute sind dort ausgesiedelt worden und diese Tatsache kann man mit einem darüberstehenden Kommentar nicht verallgemeinern, sondern man muß begreifbar machen, daß es sich um individuelle Erzählungen handelt. In dem Sinn ist mein Film viel mehr ein offenes Kunstwerk. Es soll etwas auslösen.
Die Geschichte entzieht sich für mich einer prinzipiellen Darstellung im Film, ich kann nur sagen, daß darüber diskutiert wird. Oft ist nach Vorführungen des Filmes gesagt worden, die Probleme im Waldviertel sind jetzt ganz andere, und dann ist darüber diskutiert worden; aber das ist mir auch recht. Wenn darüber diskutiert wird, wie es uns jetzt geht, und daß dieser Truppenübungsplatz auch ein wirtschaftliches Problem ist, dann ist damit auch schon was erreicht. Es ist nicht das Wichtigste, daß man sich an der Historie festmacht, sondern daß man Zusammenhänge begreift. Es waren auch oft Leute dabei, die im Film vorkommen und das waren natürlich die schönsten Diskussionen, weil die auch noch das einbrachten, was ihnen noch fehlte, weil wir sie ja kürzen müßten. Und es war auch eine gute Erfahrung, daß die Jugendlichen auf diese „Zeitzeugen” reagiert haben und nachfragten: „Wie war das.”
Und Ihr Film möchte ja nicht festschreiben, sondern - fast könnte man sagen - fortschreiben? Also in den Köpfen des Publikums müßte sich der Film „verbrauchen” und so zu neuen Ergebnissen führen. Ist das richtig gedacht?
Das war auch der Hauptpunkt kritischer Äußerungen, warum wir keine umfassendere Information bieten bzw. „sagt uns doch geschichtliche Wahrheiten”.
Und ich antworte darauf, daß ich nur das geben kann, was ich dort gefunden habe, nämlich die Erinnerungen dieser Leute: Weiters, daß ich mich mit dem Thema beschäftigt und es verdichtet habe, sie darauf reagieren müßten, und wir dann versuchen sollten, darüber zu diskutieren.
Mein Anspruch ist nie, geschichtliche Wahrheit darzustellen. Sicher sind auch verklärende Erzählungen im Film, aber ich habe keinen anderen Anspruch, ich nehme ja die Erzählungen, wie sie sind; ich behaupte nie, auch nicht in der filmischen Darstellungsform, daß die Erzählungen Wahrheit und objektiv sind. Sondern ich stelle so und so viele nebeneinander und dann erwarte ich die Reaktion des Publikums.
Abschließend noch eine Frage. Haben Sie in der nächsten Zeit vor, etwas in oder über Niederösterreich zu machen?
Es ist noch schwer zu beschreiben, weil ich erst in der Anfangsphase stecke, aber es ist etwas in der Art „audiovisuelles Gedächtnis eines Landes”. Es wäre z.B. auch eine Idee, Amateurfilmmaterial zu sammeln, Zeit zu haben, in bestimmten Regionen, Bilder zu machen, die vergleichbar mit historischen Aufnahmen sind, Archivarbeit und professionelles Bildmaterial zu machen. Das wäre ein Ansatzpunkt, der mir im Kopf herumschwirrt, und das könnte in Zusammenarbeit mit ein paar Leuten passieren. Darüber hinausgehend kann ich aber noch nichts sagen, weil das noch eine Idee ist. Ein bißchen basiert sie auf den Erfahrungen, die wir mit den „Erinnerungen an ein verlorenes Land” gemacht haben, wobei aber noch offen ist, in welchen Regionen das sein soll, aber auf alle Fälle eine Heimatauseinandersetzung.
In:
Die Region und das Zentrum
Ein Gespräch mit Gottfried Schlemmer zum Begriff Heimat im Film.
in: Medium Film 1990- Lauf.Bild.Buch.Niederösterreich, Wien 1990