Würdigungspreis Filmkunst |
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Würdigungspreis für Filmkunst 2003 an Manfred Neuwirth
Rede anlässlich der Preisverleihung gehalten von Ralf Wieser
Stellen Sie sich Folgendes vor:
Sie befinden sich mit ca. 20 Leuten in einem dunklen Raum, sitzen im Kreis, vor sich am Boden einen hell beleuchteten weißen Spot, Kopfhörer vermitteln das sinnliche Erlebnis. Kein Bild, nur Ton, ein Film für das innere Auge.
Dies ist keine spirituelle Sitzung, sondern eine Installation des Regisseurs und Kameramanns Manfred Neuwirth. Es ist der Hörfilm Barkhor Round. Frau/Man begibt sich mit Manfred Neuwirth auf den Barkhor – einen Mittleren Umrundungsweg in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, ein wichtiges religiöses und wirtschaftliches Zentrum der Stadt.
Er hat keine Kamera dabei, sondern Mikrofone, er beobachtet und nimmt auf - Musik aus den Hörnern der Mönche, das Feilschen der Händler, den Sound der Videokinos von links, Musik aus den Kassettenrekordern von rechts, die Schleifgeräusche der sich niederwerfenden Pilger und Pilgerinnen.
Über das Verfahren der Kunstkopfstereofonie wird beim Abhören ein spezieller Raumklang erzielt.
Ich habe einen Einstieg in das Werk Manfred Neuwirths gewählt, der für ein filmisches Werk ungewöhnlich scheinen mag, und gerade deshalb typisch für das dokumentarische und innovative Arbeiten des Film- und Videokünstlers ist. Es sind die vermeintlich unspektakulären, von jeder falschen Sentimentalität und Ästhetik entblößten Bilder, die uns der Künstler zeigt. Mit großer Sensibilität scheint er ständig den Abstand zwischen Objekt und Kameraauge zu ermessen, er scheut die Distanzlosigkeit, die zu große Nähe. Findet er nicht das richtige Bild, so zeigt er eben keines.
Zum Beispiel
Vom Leben Lieben Sterben – Erfahrungen mit Aids. Die Kamera zeigt bewegungslos fünf Menschen, die über Aids erzählen, von ihrer eigenen Krankheit, über Erfahrungen mit der Umwelt, über Reaktionen von Angehörigen. Sie sitzen in ihren Wohnungen. Die Orte ihres Leidens, das Spital, die Arztpraxis, werden nicht sichtbar gemacht. Es gibt keine Zooms, keine Zwischenfragen, die Interviewer sind nicht im Bild. Es gibt keine Zwischenschnitte oder atmosphärische Spielereien. Diese Zurückgenommenheit und das behutsame Vorgehen bewirken eine intensive und nahe – zugleich nahegehende Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema ohne die/den BetrachterIn durch spektakuläre Bilder zu emotionalisieren.
Ein anderer Film.
Erinnerungen an ein verlorenes Land aus dem Jahr 1988. Manfred Neuwirth begab sich zum Truppenübungsplatz Allentsteig, um den Menschen dieser vergessenen Gegend eine Stimme zu geben, ihnen die Möglichkeit einer verspäteten Entschädigung oder Wiedergutmachung zumindest im Sinne einer Öffentlichkeit zu geben. Auch hier werden filmische Ablenkungen vermieden, kein Kommentar aus dem Off. Es kommen die ehemals Ausgesiedelten zu Wort, die ihre Erinnerungen und Erfahrungen in Worte fassen können, es ist eine Spurensuche, das Dokument einer fast verlorengegangenen Geschichte Österreichs.
Hier sei nur nebenbei erwähnt, dass dieser Film wochenlang im Votivkino zu sehen war. Ein Publikumserfolg, der mit diesem Thema in der jetzigen schnelllebigen Kinozeit nicht mehr möglich scheint.
Neben diesen beiden eindeutig dokumentarischen Arbeiten steht eine große Anzahl von experimentellen Arbeiten. Manfred Neuwirth ist ein Grenzgänger zwischen dem Experimentalfilm und dem Dokumentarfilm. Wie er selber anlässlich eines Filmes (magic hour) sagte: „Die Lust gehört dem Experimentellen und die Liebe dem Dokumentarischen. Und es gibt Dinge, wo das sehr, sehr nahe ist und sich vereint. Wenn mir das gelingt, sind das die schönsten Momente ...”
Er bezeichnet sich selbst als Bildersammler, der das Material, das er dreht als eine Art Hilfsgedächtnis verwendet.
Er versucht Erinnerungsbilder, Stimmungsbilder zu finden. Die verarbeitet Manfred Neuwirth dann in so wunderbaren Arbeiten wie Tibetische Erinnerungen, manga train und magic hour. Wieder sind es die alltäglichen Dinge, scheinbar Nebensächliches, subjektive Details, die er uns tagebuchartig erzählt. Traumhaftes entsteht in einer Montage von extremen Zeitlupen – Profanes und Banales erhalten durch den Ausschnitt, den Blickwinkel ihre neue Bedeutung, vermitteln plötzlich persönliche Empfindungen und Erinnerungen. Eine Bierflasche auf dem Tisch oder ein Blick aus dem Zugfenster. Es sind minimalistische Notizen, die uns die Bilderflut unserer hektischen Medienwelt neu entdecken helfen.
Ein Einschub:
Manfred Neuwirth war einer der Gründer der Medienwerkstatt Wien, die 1978 als selbstverwaltete Videogruppe gegründet wurde. Damals steckte das Medium Video noch in den Kinderschuhen und wurde von Künstlern und Filmemachern fasziniert aufgenommen. Die Begeisterung für ein neues Medium, politische Wachsamkeit und Wachheit schufen eine Gegenöffentlichkeit. In den 25 Jahren ihres Bestehens sind ca. 380 Produktionen entstanden, von der Halbminutenminiatur bis zum Achtstundenfilm. Und Manfred Neuwirth war immer einer der initiativ und unterstützend dabei war.
Der Zugang zur Technologie hat sich verändert. Man/frau hat den digitalen Schnittplatz auf dem Homecomputer. Aber Erfahrung, Haltung und Vision sind immer noch Grundbedingungen künstlerischen Arbeitens. Und so ist es wichtig und gut, dass sich Manfred Neuwirth in seiner zurückhaltenden, uneitlen Art auch in film-, kultur- und gesellschaftspolitische Diskussionen einbringt und für die Interessen der unabhängigen Filmemacher und Filmkünstler klar und pointiert einsetzt, seine Standpunkte und Haltungen ehrlich und unvoreingenommen vertritt.
Und immer wieder geht es um die Erinnerung.
Kein anderer Begriff beschreibt den Aufnahmeprozeß Neuwirths so gut. Sein Erfahrungsraum gliedert sich in das Erinnern als politischen Prozess, das Archivieren von Bildern als Lebensbeweis, die Kamera als Speicherhilfe. Er selbst sieht sich als Kristallisator dieses Speichers, der die Oberflächen zu einem neuen Raum ordnet, Achsen ausrichtet, Bedeutungen durch Kreuzungen schafft.
In einem seiner letzten Werke, der Installation Bilder der flüchtigen Welt erzählt er vom Krieg, vom Widerstand, von Ritualen, vom Glück, von der Leere, vom Tod. Es ist eine sowohl persönliche wie auch überraschend politische Montage in Erinnerung an seinen Großvater, der über 100 Jahre alt geworden ist. Neuwirth stellte sich die Frage: 'Wie ist das vor dem Tod, wenn im Leben nichts wesentliches mehr geschieht, wenn man nichts Neues mehr erlebt, sich nur noch erinnert?' Dabei greift er auf sein schier unerschöpfliches Bildarchiv zurück, um es, wie er sagt noch einmal zu durchforsten, zu durcharbeiten und dann auch einmal zu entleeren, um frei zu sein für neue Ideen.
Wir – das sind Viktoria Salcher, Nikolaus Geyrhalter und ich, Ralph Wieser, als Jurymitglieder, aber ich nehme an auch Sie, sind gespannt, welche formalen Wege Manfred Neuwirth weiterhin beschreiten wird und wohin ihn seine weitere Reise im Kopf und der Realität führen wird.
Ralph Wieser, 13. 9. 2004