Manga Train |
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Michael Omasta im Gespräch mit Manfred Neuwirth
Die erste Einstellung des Films ist in einem Zug aufgenommen und zeigt ein Paar, das in einer Bilderzeitung blättert. Hat dieses Bild "manga train" seinen Titel gegeben?
Na ja, nicht so direkt. Da sind zwei Begriffe, die ich sehr stark mit Japan verbinde. Manga heißt im Japanischen Comic, und Comics sind ganz wesentlich im Erscheinungsbild Japans. Train, also der Zug, ist eine Chiffre für Bewegung, ein Bewegungsmotiv, das für mich in Japan wichtig ist. Vieles ist durch weite Entfernungen definiert, den immensen Verkehr, die ständige Bewegung. Diese beiden Assoziationen sind in der Einstellung miteinander verknüpft. Außerdem war das ein sehr schöner Moment, weil das Ehepaar die zwei Teile der Zeitung synchron – wie einem gemeinsamen inneren Rhythmus folgend – auf- und zugeschlagen hat.
Von den Gestaltungsmitteln her könnte man "manga train" als eine Art Fortsetzung Deines Films "Tibetische Erinnerungen" bezeichnen. Woraus hat sich das entwickelt?
Wenn ich einmal von ganz weit her antworten darf, dann interessiert mich in der Kunst alles Grenzüberschreitende. In diesen beiden Filmen nähert sich die filmische Zeitlupe an die Fotografie an, dokumentarische Originaltöne werden zu musikalischen Kompositionen, verschiedene Tempi zwischen Bild und Ton erweitern die Wahrnehmung. Es gibt einen Buchtitel, der das ganz schön ausdrückt, was ich da meine: "Wie die Sinne auf Montage gehen". Diese Form, sich auf Zeitlupe und längere Soundspuren zu beschränken, ist eigentlich während der Arbeit an dem Tibet-Film entstanden: Wie kann ich mich auf bestimmte Dinge, die ich hervorheben will, stärker konzentrieren? Das war einmal durch die Zeitlupe im Bild. Etwas schwieriger war die Frage des Tons, da habe ich verschiedene Versuche unternommen. So zum Beispiel Bild in Zeitlupe zu machen und gar keinen Ton zu verwenden, aber da hat plötzlich alles so eine Bedeutung bekommen, das Gegenteil von dem, was ich erreichen wollte – sozusagen gerade auch in der Beiläufigkeit der Alltagsbilder etwas Besonderes zu finden. Die Zeitlupe allein hatte immer so etwas Schweres, Inhaltsschwangeres, erst durch den Ton in der normalen Geschwindigkeit haben die Bilder wieder diesen "Normalbezug" zurückbekommen.
Nicht nur das, sondern die Differenz zwischen Normalton und Zeitlupe erhöht auch die innere Spannung des Films, oder?
Klar, eine gewisse Spannung gibt das, einfach deshalb, weil der Ton den Bildern manchmal voraus ist, manchmal hängt er zurück. "Tibetische Erinnerungen", der über einen Zeitraum von sieben Jahren entstanden ist, war von daher ein Endprodukt aus Bildern und Tönen, die ich gar noch nicht zielbewußt auf diese Ästhetik hin aufgenommen hatte. Jetzt, bei dem Film "manga train", als ich die Chance bekommen habe, wieder nach Japan zu gehen, war das Konzept von Anfang an klarer, ich wußte: Ich drehe Einstellungen, die man in Zeitlupe verwenden kann, und mache den Ton wieder in normaler Länge dazu. Aber trotzdem versuche ich in einem Zustand der "Beiläufigkeit" zu drehen, die Aufnahmen entstehen aus der Emotion gesteuert. Die schönsten Momente sind die, wo es mir egal ist, ob die Kamera läuft oder nicht. Es war natürlich auch für mich selber sehr spannend, diese Pole so einmal zu erleben und gegeneinanderzusetzen: Tibet und Japan. Wenn ich nachträglich darüber etwas nachdenke, so manifestiert sich in meinen Bildern und Tönen aus Tibet Geschichte, Vergängliches, Sehnsucht nach Ursprünglichem und – nicht zu vergessen – politische Unterdrückung. Die Aufnahmen aus Japan repräsentieren – ein bißchen vereinfacht gesagt – Moderne, Futurismus und geschaffene Welt.
Die Einstellungen in "manga train" sind eine Spur länger, gibt es sonst auch noch Unterschiede in der Gestaltung?
Die Zeitlupe im Tibet-Film ist eine ganz weiche, die in "manga train" hat einen leicht stroboskopischen Effekt. Das war mir insofern wichtig, als Japan vom Tempo, von der Beschleunigung, einfach von meinen optischen Eindrücken her, schon etwas ganz anderes ist als Tibet, andere Wahrnehmungen auslöst.
Wie konkret weißt Du vorher, was Du aufnehmen und für den Film eventuell brauchen wirst?
Die schönste Art des Drehens ist für mich, hinauszugehen und überhaupt nicht zu wissen, was heute auf mich zukommt. Ich weiß nur, daß ich heute zum Beispiel von Tokio nach Hakodate fahre, das sind sechs Stunden Bahnfahrt, und da werde ich etwas erleben. Natürlich war es dann so, daß ich auf dem Weg zum Bahnhof schon bei einem Straßenfest hängengeblieben bin und erst ein paar Stunden später abgefahren bin. Ich habe überhaupt nicht gewußt, was mich in Hakodate erwarten wird, und bin dort einfach herumgelaufen. Dabei kommt für mich sehr oft der Ton noch vor dem Bild, daß ich mich auf einen Ort einstelle, indem ich zunächst einmal höre, was da alles los ist, dann erst fängt das mit der Kamera langsam an. In diesem Sinn nehme ich die Bilder eigentlich nicht auf, die Bilder passieren. Das einzige, was ich vorher entschieden habe, war, im Gegensatz zum Tibet-Film, diesmal eher im städtischen Bereich zu bleiben.
Das heißt, nehme ich an, daß der Materialaufwand ziemlich hoch ist. Wie gehst Du bei der Montage so eines Films vor?
Bei "Tibetische Erinnerungen" habe ich rund dreißig Stunden Material gehabt. Der Film ist zwar zwanzig Minuten lang, aber bedingt durch die Zeitlupe habe ich eigentlich nur viereinhalb Minuten Bildmaterial verwendet. So geschieht in der Montage eine enorme Verdichtung meines Blickes, meines Hörens und meiner Emotion. Auch bei "manga train", wo ich etwa neun Stunden aufgenommen habe, bin ich wieder drei Monate am Schnitt gesessen. Was die fehlende Systematik betrifft, wenn man sich beim Drehen ganz auf emotionale, spontane Dinge einläßt, so dreht sich das in dem Moment um, wenn Du in die Montage gehst. Das ist eine systematische Arbeit, wobei ich aber versuche, die Emotion beim Schnitt für mich aufrechtzuerhalten. Ich sitze also nicht zehn Stunden am Tag am Computer, sondern in der Regel drei, und schaue mir die verschiedenen Schnittfassungen in unterschiedlichsten Stimmungslagen immer wieder neu an.
Kannst Du etwas über die Dramaturgie von "manga train" sagen?
Die bestimmt sich sehr stark über die Tonebene. Es gibt da für mich eindeutige Markpunkte, allerdings nicht im Sinn einer klassischen Dramaturgie, auf einen Höhepunkt hin und weg, sondern daß es über mehrere Einstellungen hinweg so etwas wie Brücken geben muß, die Assoziationen ermöglichen: der ähnliche Klang völlig unterschiedlicher Geräusche etwa, der Wechsel zwischen lauten und ruhigeren Szenen et cetera. Das Klappern der Pachinko-Kugeln zum Beispiel, darauf folgt etwas später die Einstellung in dem Tempel mit den Glückslosen, wo es auch wieder so ein metallisch klingendes Geräusch gibt. Für mich treten die Bilder da im ersten Montageschritt ein bißchen zurück, das ist ein wirklich rein musikalischer Schnitt. Die Sound-Ebene war für mich sehr wichtig, ich habe mir den Ton auch allein angehört, ohne Bilder, um zu probieren, wie funktioniert das? Sind da Löcher drinnen? Schließlich habe ich zwei Einstellungen wieder in den Film genommen, wo der Ton sehr ruhig ist, wo man nur fernen Straßenlärm hört. Diese paar ruhigen Momente sind genauso wichtig, weil sonst die Tonspur zu gleichmäßig zu viel Power hat.
Beim Bild gibt es andere Aspekte. Nimm zum Beispiel die Einstellung mit dem roten Fahrrad: zuerst flattert ein Vogel ins Bild, dann steigt jemand aufs Fahrrad, dann kommen zwei Passanten ins Bild, zuerst nur ihre Schatten, dann sie selber, gehen vorbei. Das ist ein Bild, das genau zeigt, wie ich arbeiten möchte, mit verschiedenen Schichten – Schichten im Sinn von Finden –, daß man entdecken kann, was hinter den Bildern noch alles liegt: Wenn durch den Schatten, den die zwei Leute vorauswerfen, plötzlich die Spiegelung in dem Auslagenfenster weg ist, und Du einen Moment lang erkennen kannst, was auf den Plakaten dahinter abgebildet ist. Also eine sehr strenge Dramaturgie, die in höchstem Maß auch emotional ist ...
Bilder machen – diese direkte Moment hinter der Kamera – ist das schönste für mich, dabei sind meine Emotionen am stärksten ... Und dann gibt's halt noch die Momente, wenn Dir hinter der Kamera etwas Unerwartetes passiert, wie die Nonnen in dem Tibet-Film, die auf einmal wild zu lachen beginnen, oder in "manga train" die Mädchen am Bahnhof, die in einem flüchtigen Moment eine perfekte Inszenierung für mich und die Kamera durchziehen. Was nachher kommt, ist vor allem, diese Emotionen zu montieren.
Ich weiß, daß Dir der Begriff des Reisefilms nicht behagt. Hängt das mit dem Unterton des Exotismus zusammen oder warum?
Darauf kann ich nur sagen, daß Japan oder Tibet eigentlich für mich nicht exotischer sind als zum Beispiel das Waldviertel. Ich versuche mich in einen Zustand der geschärften Sinne zu versetzten und auf die "Alltäglichkeiten" zu reagieren. Die Filme bestehen dann aus dem Erlebten. Jede Einstellung hat für mich Geschichte und ist eine kleine Geschichte. Der Begriff: "Bilder der flüchtigen Welt" gefällt mir da sehr gut, das kommt meinen Ideen nahe.