Von Tokio bis Kritzendorf |
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Manfred Neuwirths „Trilogie der Zwischenräume”, schafft Platz zum Sehen und Hören, weil sie Augen und Ohren nicht mit Erklärungen verkleistert. Kurze Abblende, kurze Aufblende: Schwarzfilm, jeweils eine Sekunde lang, setzt die einzelnen Einstellungen gegeneinander ab. Die Analogie zu einem „Fotoalbum” ist durchaus gewollt: Wie die einzelnen Bilder dort für gewöhnlich alle dasselbe Format haben, bleibt hier die Einstellungsdauer immer gleich. Acht Sekunden Film, reproduziert in fünffacher Zeitlupe - asynchron dazu läuft, in normaler Aufnahmegeschwindigkeit, der Ton ab. Sehen und Hören ist zweierlei; „Zwischenräume” reißen auf zwischen der visuellen und akustischen Ebene, und jede für sich erfordert ungeteilte Aufmerksamkeit.
Manfred Neuwirths „Trilogie der Zwischenräume” besteht aus drei mittellangen Filmen, die der niederösterreichische Filmemacher in Tibet, in Japan, im Waldviertel aufgenommen und wie eingangs beschrieben, gestaltet hat: „Tibetische Erinnerungen” (1988-95), „manga train” (1998) „magic hour” (1997-99). Und wie jedes gute Konzept, so ergab sich auch dieses erst im Arbeitsprozess, konkret: während des Schnitts, bei dem Versuch, die 30 Stunden Material, die Neuwirth im Zuge mehrerer Reisen nach Tibet gedreht hat, ästhetisch zu ordnen. Die erste Einstellung dieses ersten Films ist (explizit) politischen Inhalts: Man sieht tibetische Mönche, die von chinesischen Polizisten festgenommen werden. Hernach wendet sich der Film dem Alltagsleben in Tibet zu, einer Kultur im Wandel, die Kraft ihrer Tradition freilich auf ihrer Unabhängigkeit beharrt. „Der Widerstand”, bemerkte der Filmkritiker Constantin Wulff dazu, „wird gleichsam ins filmische Material aufgenommen.”
Ähnliches ließe sich für alle drei Filme behaupten: Es geht ums „Besondere im Beiläufigen”, die akute Schönheit und unmittelbare Welthaltigkeit des Alltäglichen. Die Arbeiten Neuwirths entziehen sich jeglicher Form der Kommerzialisierung, insofern sie die Erwartungen von Kunstfilmfuzzis mindestens ebenso sehr unterlaufen wie die Ansprüche an das oft beschworene Genre des „Reisefilms”. Irgendwo hinzugehen und „dem Zuhause zu erklären, was ich gesehen habe und was dort los” ist”, so der Filmemacher, sei seine Sache nicht: „Je mehr ich reise, umso weniger kann ich eigentlich über andere Länder erzählen.” Wenn schon, dann eher umgekehrt: Er macht Filme, in denen Fernes nah und Nahes fern erscheint - Filme übers „Da sein, egal, wo ich bin”.
Erklärt wird nichts. Die Bilder und Töne stehen, scheinbar zusammenhanglos, für sich. In „Tibetische Erinnerungen”: Ein buddhistischer Mönch schaut in die Kamera - ein Motorrad fährt eine Straße hinunter - auf einem Tisch steht eine Flasche Bier. In „manga train” ein Blick auf die halb verwitterte Lehmwand in einem Steingarten - das Eröffnungszeremoniell bei einem Sumo-Ringkampf - eine Familie am Strand - das Fallen frisch geschnittener Blätter in einer Parkanlage. In „magic hour”: zuckende Blitze in finsterer Nacht - der Fuß eines Kindes taucht in das Wasser eines Lavoirs -der Steinboden vor einer Kirche - eine Bühne, aufwabernder Trockeneisnebel, derweil jemand etwas von Abba zum Besten gibt.
Anstelle von Godards „Eins plus eins” setzt Neuwirth „Eins hoch eins”:' Die Bilder werden erst durch den Ton verortet, woraus sich dann, erst der Rhythmus der Filme bestimmt, der ständige Wechsel zwischen Laut und Leise, Sprache und Geräusch, Stille und Musik - oder, bezogen auf die Trilogie, zwischen Bilderrätseln und Kindheitserinnerungen, zwischen Tokio und Kritzendorf.
Michael Omasta