Video-Dokument-Experiment |
Ein Aufsatz zu den genreübergreifenden Möglichkeiten des Mediums Video.
von Manfred Neuwirth
Vorbemerkungen
Die knapp zwanzigjährige Geschichte unabhängigen Videoschaffens in Österreich läßt einen Blick auf eine Fülle von Videoarbeiten zu, die im experimentellen/künstlerischen/dokumentarischen Bereich entstanden sind. Gerade bei Video - einem Medium, das viele Experimentiermöglichkeiten mit einschließt - ist die Grenze zwischen den verschiedenen Genres immer schwerer zu ziehen. Trotzdem soll im Folgenden versucht werden, dokumentarische Videoarbeit näher zu bestimmen, dabei aber auch die genresprengenden Möglichkeiten des Mediums Video im Auge zu behalten. Zur Einführung in das Thema soll auch noch die von Wilhelm Roth (1) gestellte Frage, ob Super 8 und Video die dokumentarischen Medien der Zukunft seien, dienen.
„Schon gut zehn Jahre nach der technischen und inhaltlichen Erneuerung des Dokumentarfilms um 1960 durch die leichten, leise laufenden 16-mm-Kameras und die Originaltonausrüstung begann durch Super 8 und vor allem durch Video eine weitere Revolutionierung der dokumentarischen Arbeit, zunächst fast im Verborgenen. Denn Super-8-Filme und Videobänder werden meist von Leuten hergestellt, die, weil sie sich bewußt vom 16- und 35-mm-Film absetzen, ihre Arbeiten nur in einem kleineren Kreis zeigen, ihre Diskussionen in spezialisierten Publikationen führen.” (2)
Zur Geschichte
Ist es beim Film die ab dem Jahr 1960 verfügbare 16-mm-Kamera mit Originalausrüstung, die es möglich macht, ganz neue Formen des Dokumentarfilms zu entwickeln, so ist es bei Video die Markteinführung der tragbaren Halbzollvideoanlage im Jahr 1965, die Arbeiten außerhalb der großtechnologisch ausgerüsteten Fernsehanstalten ermöglicht. Die Ansätze einer alternativen Videoarbeit, die sich in Nordamerika (USA, Kanada) entwickelt haben, werden in Europa Ende der sechziger Jahre aufgenommen, als auch hier die neue, relativ einfache Videotechnologie verfügbar ist. In Österreich nützen zuerst hauptsächlich bildende Künstler das neue Medium. Ab 1972 bilden sich die ersten Gruppen, die Video dokumentarisch einsetzen wollen.
Basis für diese Entwicklung ist das mit den politischen Bewegungen am Ende der sechziger Jahre neu entstandene Medienverständnis. Innerhalb dieses Politisierungsprozesses entstehen verschiedenste Gruppierungen, die sich theoretisch und praktisch mit den „emanzipatorischen” Möglichkeiten des Mediums Video auseinandersetzen. Praktische Medienarbeit soll ein wichtiger Schritt zu politischer Emanzipation sein.
Video und bevölkerungsnahe Medienarbeit
Die erste Generation der Videoschaffenden möchte Video im Rahmen von lokaler Medienarbeit nützen. Möglichst viele Bevölkerungsgruppen sollten aktiviert werden, die Programme sollten dabei über lokale Kabelfernsehnetze ausgesendet werden. Da dieses Senden über Kabel jedoch durch die Monopolfernsehanstalt ORF unterbunden wurde, entwickelte sich ein „TV ohne Senden”. An vielen öffentlichen Orten (Gasthäuser, Straßen, Kulturzentren) wurden die Videoproduktionen gezeigt und zur Diskussion gestellt. Die Videoarbeiter sehen sich dabei als Vermittler, sie stellen ihr Wissen zur Verfügung, wollen aber bei der Produktion möglichst im Hintergrund bleiben, eben die verschiedensten Leute aktivieren, Video für ihre Anliegen zu nutzen.
Video und Gegenöffentlichkeit
Die aufkommende Alternativbewegung führt in Österreich dazu, daß verschiedenste Kulturinitiativen, darunter auch unabhängige Videogruppen, entstehen. Der Berichterstattung in den etablierten Medien sollen eigene Bilder entgegengestellt werden, Video soll ein Medium unter vielen sein, mit dem Gegenöffentlichkeit hergestellt wird. Die verschiedensten Initiativgruppen stellen kurze Informationsbänder her, die sie bei der Öffentlichkeitsarbeit verwenden können. Wichtiger Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist die Arenabewegung - der Kampf um ein autonomes Kulturzentrum - im Jahr 1976 in Wien.
Autorenvideo
Im Laufe der oben beschriebenen Entwicklung bildet sich ein Kreis von Videoschaffenden heraus, die kontinuierlich mit Video arbeiten möchten. Die Videoschaffenden sehen sich nicht mehr als Vermittler für die Probleme anderer, sie begreifen ihre Arbeit als künstlerische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Einhergehend mit der Entwicklung beim Dokumentarfilm gewinnt die subjektive Interpretation des Film- oder Videoschaffenden an Bedeutung. Es entstehen verschiedene Ansätze dokumentarischer Videoarbeit, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen.
Zu den Produktionen
Bewegungsvideo
Die Diskussion über die Darstellung der Wirklichkeit impliziert natürlich die Frage nach der Wirklichkeit selbst und ihrem Informationsgehalt, danach, ob die ungestellte Wirklichkeit authentischer ist als die bearbeitete. Das Problem kann hier nur angedeutet werden und sei vor allem deshalb erwähnt, weil es im Zuge der Filmarbeit der sogenannten 68er-Bewegung und dem Neuüberdenken der Medientheorien der zwanziger Jahre zum zentralen Thema geworden ist.
Dabei hat die zu diesem Zeitpunkt notwendige und wichtige Bezugnahme auf die Theorien Dziga Vertovs oder Sergej Tretjakovs, der in seiner Forderung nach „operativen Arbeitendem Schriftsteller allenfalls die Rolle der literarischen Hebamme” zubilligte, im Laufe der Zeit leider zu einer gewissen Sklerose der dokumentarischen Kreativität engagierter Filmemacher geführt. Nur noch die „Betroffenen” sollten zu Wort kommen, so ungestellt wie möglich, so ungeschnitten wie möglich, jedes Selbstverständnis des Filmemachers als Autor war verpönt. Das hat natürlich zu einer gewissen filmischen Langeweile geführt, nachdem der erste revolutionäre Elan der „Betroffenen, die ihre Filme selbst machen” verpufft war (die politische Situation hatte sich auch verändert), während ebenso resignierte Filmemacher immer noch versuchten, Filme „im Dienste des Volkes” zu drehen. (3)
Die in Österreich entstandenen Bewegungsvideos sind kurze Bänder, die ihre Qualität durch den spontanen Umgang mit dem Medium und durch die Nähe zum gezeigten Geschehen bekommen. Es sind „Betroffenenvideos”, hergestellt von Leuten, die einen amateurhaften Zugang zu Video haben. Diese Bänder bleiben an der Oberfläche, das heißt, sie zeigen nur die ausgebrochenen Konflikte, gehen aber nicht auf weitreichendere Zusammenhänge ein und problematisieren auch nicht Widersprüche innerhalb der verschiedenen Bewegungen.
Als es 1980 auch in Wien zu einem kurzen Aufflackern einer Jugendbewegung kommt, entstehen Bänder wie „Burggarten”, „Phorushalle” und „Hausbesetzung in Wien”, die zum Großteil nur aus Szenen bestehen, die die direkte Konfrontation der Polizei mit den Jugendlichen zeigen. Die möglichst schnell produzierten Bänder werden dann für die Öffentlichkeitsarbeit der „Bewegung” genutzt.
In Salzburg entstehen über mehrere Jahre hinweg Bänder, die sich auf den Kampf um die Schaffung eines autonomen Kultur- und Kommunikationszentrums beziehen, darunter „Rainberg - mein Berg”, ein Band, daß unter anderem als Diskussionsanstoß bei einer Veranstaltung mit Politikern eingesetzt wird, und „Glanzlose Stadt - leuchtender Berg”, einer Collage aus Szenen der „Hoch”kultur und verschiedenen Straßenaktivitäten aus der „Alternativ”kultur.
Anläßlich der Besetzung der Stopfenreuther Au entsteht „Stauraum Hainburg”, das gestalterisch und inhaltlich über die oben beschriebenen Produktionen bereits hinausgeht. Die Filmer verbrachten selbst drei Wochen in der Au, konnten so verschiedenste Stimmungsbilder einfangen und auch längere und tiefergehende Gespräche aufnehmen, in denen die Gründe der Besetzung ausführlich reflektiert werden.
Ethnographisches Video
Der Ethnograph nähert sich ihm fremden Bereichen an und versucht langsam zu entdecken. Eine Videoarbeit, die diese Arbeitsweise übernimmt, bedarf einer langen Vorbereitungs- und Drehzeit. Aus der österreichischen Arbeit seien hier zwei Beispiele angeführt. In den Jahren 1980-82 arbeiten Gustav Deutsch und Ernst Kopper in einem regional eingegrenzten Bereich im nördlichen Niederösterreich.
„Von Herbst 1980 bis Frühjahr 1982 waren wir mit der Durchführung des Projektes beschäftigt und sehen seit dem ersten Blick durch den Sucher die Möglichkeiten unserer Arbeit zunehmend verändert. Wir haben gemerkt, wie unangreifbar die Wirklichkeit wird, wie weit weg von den tatsächlichen Nuancen die sogenannte authentische Darstellung bleiben muß und wie unbeholfen man sich bei aller Behutsamkeit dennoch vorkommt, wenn man versucht, in fremde Lebensräume einzudringen.
Immer mehr wurde uns klar, daß die gefilmte Wirklichkeit eben nicht mehr diese Wirklichkeit ist, im besten Fall eine Interpretation einer erlebten Wirklichkeit und auf jeden Fall für sich wieder eine neue Wirklichkeit, nämlich die eines Filmes, eines Videobandes. Mit diesem Bewußtsein haben wir uns die Möglichkeit erschlossen, aus einer soziologischen Interpretation unseres Themas in eine künstlerische umzusteigen und, auf eine sehr emotionelle Weise, das darzustellen, was uns selbst hier tatsächlich bewegt, oder besser gesagt, durch den Schnitt unseres Material jene Stimmungen zu erzeugen, die der Ergriffenheit, Bedrücktheit oder auch der Freude am nächsten verwandt sind, die wir vor Ort erlebt haben.” (4)
Während des Projektes entstanden zehn Bänder, so zum Beispiel mit Bauern aus der Region, die biologisch anbauen, und Bauern, die nach herkömmlichen Methoden arbeiten. In die verschiedenen Produktionen fließen auch Teile ein, die von „Amateuren” - das heißt Interessierten aus der Region - gestaltet wurden. Dies ist ein Vorgang, der bei Videoproduktionen öfters auftaucht. Ein Zeichen dafür, daß mit Video die Barrieren des Vor- und Hinter-der-Kamera-Stehens leichter überbrückbar sind. Dadurch ist es auch möglich, einen besseren Zugang zu den Leuten zu finden, mit denen man bei der Videoproduktion zusammenarbeiten möchte.
Die Produktion „Rituale” ist das persönlichste Band, das im Laufe der regionalen Videoarbeit entsteht, eine Interpretation der ländlichen Bräuche ohne Kommentar, nur mit langen Einstellungen, die dem Zuseher Zeit geben sollen, auf die Bilder subjektiv zu reagieren.
1980 wird die Produktion „Marienthal 1930-1980” fertiggestellt. Die Gruppe SYNC bezieht sich in ihrer Arbeit auf eine 1930 entstandene Studie mit dem Titel „Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch.” Sie versuchen geschichtliche Spuren aufzufinden, die in der später berühmt gewordenen Studie beschrieben werden. Anhand der Erzählungen aus dem Alltag werden die Lebenssituationen von damals und heute verglichen; es ist auch ein ethnographischer Zugang, dessen sich die Filmemacher hier bedienen. Die Bewohner werden in die Dokumentationsarbeit einbezogen, indem die Feed-back-Möglichkeit von Video ausgenützt wird. Es gibt mehrere Vorführungen in der Region, nach denen die Bänder wieder verändert werden - basierend auf den Erfahrungen, die die Filmemacher bei Diskussionen nach der Vorführung gemacht haben.
Video mit Minderheiten/Randgruppen
Ebenso wie bei der ethnographischen Arbeitsweise bestimmt sich die Arbeit mit Minderheiten oder Randgruppen durch die Haltung des Dokumentarfilmers. „Eine ganz allgemeine Spur (eher pathetisch): Die Liebe zur unbearbeiteten Wirklichkeit, zur ersten Natur, zum lebendigen Menschen. Darin eingeschlossen auch: das Interesse an Rohzuständen, am Unsymmetrischen, an unmittelbarer Erfahrung, an Unebenheiten.
Dokumentarische Ästhetik entsteht nicht am Reißbrett. Dokumentarische Filme sind kaum reproduzierbar. Sie lassen sich nicht vorher in einem Plan, einem Drehbuch festlegen. Im Gegenteil: Das Dokumentarische hat seine Stärken in der Entdeckung, in dem immer neuen Versuch, eine Form für diese Entdeckungen zu finden, das entstandene Material auf eine ihm angemessene Weise zusammenzufügen. So ist kein Film von uns - und anderen Dokumentaristen wird es da nicht anders gehen - später so geworden, wie wir ihn ursprünglich geplant haben. Die Filme ändern sich mit der Arbeit, mit den Arbeitsbedingungen und mit dem entstandenen Material. Wir sind angewiesen auf unsere Sensibilität und unsere Beobachtungsgabe, unser Gefühl für Rhythmus und unser Interesse am Gezeigten. Das, was man Ästhetik nennen könnte, wird uns in gewisser Weise vorgegeben, vorgezeichnet vom Material - oder besser: entsteht aus der Auseinandersetzung mit ihm. Das Dokumentarische ist schnell tot, leblos, wenn es sich nicht mehr bewegt.” (5)
In den Jahren 1982-84, während eines Projektes, bei dem eine Künstlergruppe und eine Behindertengruppe zusammenarbeiten, entstehen zwei Bänder: „ASUMA” und „WOSSEA MTOTOM - Die Wiese ist grün im Garten von Wiltz”. Aus der ursprünglich nur kurz gedachten Drehzeit an einer Dokumentation über das Projekt (Künstler und Behinderte arbeiten gemeinsam an der Ausgestaltung eines öffentlichen Parkes) entstand eine lange Zusammenarbeit zwischen den Filmern, der Behindertengruppe und den Künstlern. Aus der filmischen Beobachtung wurde ein Teil des Projektes, einige Künstler und Behinderte beteiligten sich auch hinter der Kamera an der Produktion.
1983/84 entsteht „Gastmenschen in Wien”, eine Dokumentation, die vor allem auf die Problematiken eingeht, die durch den radikalen Gastarbeiterabbau entstehen. Gleichzeitig wird auch versucht, die „fremde” Kultur der Ausländer dem Zuseher etwas näher zu bringen.
Sehr intensiv mit dem Medium Video arbeiten auch verschiedene Homosexuelleninitiativen. In den Produktionen erzählen Schwule sehr persönlich über ihre Erfahrungen, über ihre Bewußtwerdung, ihr Coming Out. Diese Bänder werden in Zusammenhang mit Veranstaltungen der Homosexuelleninitiativen eingesetzt.
Dazu kommen Produktionen über verschiedenste Jugend- und Kulturinitiativen, über kulturelle Minderheiten (zum Beispiel Slowenen) und auch über sozial engagierte Gruppen.
„Die Filmemacher begegnen den Menschen, den Dingen und den Landschaften, die sie abbilden, mit Zurückhaltung. Die Annäherung an die Wirklichkeit, die es neu zu erfahren und zu deuten gilt, geschieht behutsam, aber präzise. Diese Bildarbeit ist nicht spektakulär, zeugt jedoch von Respekt. Und vor allem verweist sie auf das Wesentliche: Obschon ich glaubte, meine Vorurteile - beispielsweise gegenüber Fremdarbeitern, Behinderten oder Bergbauern - überwunden zu haben, merkte ich erst in Dokumentarfilmen, wie stark diese noch waren. Neben den Erzählungen der Porträtierten waren es auch - und oft zuerst - die Bilder von ihnen, die mir die Gelegenheit gaben und die Zeit ließen, sie kennenzulernen, ohne daß dabei das unangenehme Gefühl aufgekommen wäre, ich beobachte sie auf der Leinwand wie in einer Glasvitrine.” (6)
Erlebte Geschichte mit Video
Mit den Gedenken an den österreichischen Bürgerkrieg im Jahr 1934 und den Feiern zum vierzigjährigen Bestehen der Republik Österreich erwacht in der Öffentlichkeit auch ein verstärktes Interesse an der Aufarbeitung der Zeitgeschichte. Gerade die österreichische Geschichte der dreißiger Jahre war bis dahin kaum oder nur sehr vorsichtig erforscht. In Gesprächen mit Zeitzeugen - basierend auf dem wissenschaftlichen Ansatz der „Oral History” -versucht man ein relativ unerforschtes Wissenschaftsfeld zu bearbeiten. Gleichzeitig sucht man auch nach neuen Vermittlungsmethoden für die Forschungsergebnisse, bei den Gesprächen mit den betroffenen Zeitzeugen bietet sich das Medium Video an.
Bei den entstandenen Produktionen stehen Menschen im Mittelpunkt, die im Widerstand aktiv waren, die aus ihrer persönlichen Geschichte erzählen. Die erfolgreichste dieser Produktionen wird „Küchengespräche mit Rebellinnen”, ein Band, in dem vier Frauen in sehr beeindruckender Weise von ihren Aktivitäten und Erfahrungen im Widerstand berichten.
„Es sind die einfachen Bilder und Worte, die den direkten und tiefen Zugang zu Menschenschicksalen ermöglichen. Doch diese Schicksale stehen stellvertretend für viele und lassen gleichzeitig ein Verständnis für eine ganze Zeit entstehen. Dadurch erhält Geschichte Farbe und Leben und erhebt sich über die Inhumanität wissenschaftlichen Sezierens. Auf diese Weise kann aber auch das Interesse bei jenen geweckt werden, denen mit der traditionellen Geschichtsschreibung der Zugang zu Fragen der Vergangenheit verschlossen bliebe.” (7)
Die Autorinnen von „Küchengespräche mit Rebellinnen” stellen noch eine zweite Produktion her - „Tränen statt Gewehre”, eine Erzählung von Anni Haider, die an den Kämpfen im 34er-Jahr beteiligt ist. An der Universität Salzburg entsteht im Rahmen eines History-Workshops „Der Igel” über politischen Widerstand und Verfolgung in der Gegend von Bad Aussee. Und in Wien wird „Auf der Suche nach dem verlorenen Februar” fertiggestellt. Darin berichten Sozialisten und Sozialistinnen über die Ereignisse im Jahr 1934.
Frauenvideo
Der Begriff Frauenvideo bezieht sich auf zwei Schwerpunkte.
- Bei der unabhängigen Videoarbeit gibt es im Vergleich zu anderen künstlerischen Medien einen hohen Frauenanteil. Diese Frauen arbeiten an den verschiedensten Formen des dokumentarischen Videos und waren und sind auch stark daran beteiligt, neue Formen - Mischformen zwischen dokumentarischer und experimenteller Filmarbeit - zu entwickeln. Die Themen sind dabei nicht auf die „klassisch" zugewiesenen Frauenthemen beschränkt.
- Es gibt aber natürlich Arbeiten, die auf spezielle Frauenproblematiken eingehen.
1982/82 entstehen im Projekt „Gewalt gegen Frauen” drei Bänder: „Unbeschreiblich weiblich”, in dem das Frausein als Zur-Frau-gemacht-Werden aufgezeigt wird, „Über Vergewaltigung”, eine Informationscollage zum Thema Vergewaltigung, und „Gewalt in der Ehe”, in dem Frauen, die in Frauenhäusern leben, von ihren Ehen erzählen. Diese Produktionen werden von Frauengruppen oft eingesetzt.
„Mädchen in sogenannten Männerberufen” und „Um Gotts wülln - a Madl in der Werkstatt” sollen Öffentlichkeit herstellen für die Problematik, daß es in traditionellen Männerberufen kaum Chancen für Mädchen gibt.
In der Großfeldsiedlung drehen vier Bewohnerinnen in Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen das Band „Frauen in der Großfeldsiedlung”, das auf die speziellen Belastungen der Frauen in diesem Gebiet eingeht.
Natürlich zählen zu dem Schwerpunkt Frauenvideo auch die bereits oben beschriebenen Bänder „Küchengespräche mit Rebellinnen” und „Tränen statt Gewehre”, da in ihnen die spezielle Rolle des weiblichen Widerstandes aufgezeigt wird.
Zum Videospezifischen
Video wird sehr oft an den Möglichkeiten der optischen Verfremdung und Tricks festgemacht. Doch Videospezifik bestimmt sich weitreichender.
„Das Farbengitter der Videobilder oder die elektronischen Tricks zur Videoästhetik hochzustilisieren, wäre (im doppelten Sinne) oberflächlich. Die eigentliche Chance dieses technologischen Sprunges - gegen den sich Kinofilm ausnimmt wie Holzschnitt verglichen mit Buchdruck - ist das Aufbrechen mechanischer Produktionsabläufe. Um nur ein Beispiel zu nennen: durch Video ist der Dreh billiger geworden als die Montage. Umgekehrt beim Film: in der Kinoproduktion werden die Filme, entgegen landläufiger Meinung, schon vor Drehbeginn geschnitten - im Drehbuch. Die Drehbuchhalter-Schere im Kopf schneidet all das weg, was sich über die Schreibtischideen hinaus, zum Beispiel über Bilder, entwickeln könnte. Nicht der Markt oder die Zensur, sondern die immer gleichen, über Jahrzehnte eingefahrenen Produktionsmechanismen sind die eigentliche Ursache für die Konfektionierung der Kino- beziehungsweise Fernsehprogramme.” (8)
Für die Aufnahme bietet Video besondere Vorteile (zum Beispiel relativ billige Materialkosten, einfache Bedienung der Geräte, kleine Aufnahmeteams). Dadurch wird es auch möglich, beim Drehen auf bestimmte Situationen einzugehen, ohne besonders störend eingreifen zu müssen.
„Das, was mich dabei besonders berührt und ich sehr schön finde an der dokumentarischen Filmarbeit, ist das freie Improvisieren vor Ort. Wenn man sein Thema und seine Leute gefunden hat, daß man sich mit ihnen einstimmt, ja dann auch nicht mehr unbedingt bestimmt, ja man bestimmt überhaupt nicht, sondern daß man dann in einer bestimmten Situation mitschwingt. Und zwar mit den Leuten, ihren Abläufen, ihrem Tag. Und da das nicht vorherbestimmbar ist, ist ein guter Teil dieser dokumentarischen Arbeit Improvisation - unter Ausnutzung aller handwerklicher und technischer Fähigkeiten.” (9)
Ein weiterer Vorteil ergibt sich durch die direkte Feed-back-Möglichkeit. Es ist leichter mit Video, die Barrieren zwischen Filmern und Gefilmten abzubauen. Sei es dadurch, daß das Gefilmte sofort nach der Aufnahme hergezeigt werden kann, sei es dadurch, daß auch Laien hinter der Kamera in ein Projekt einbezogen werden können.
Videomontage bedeutet Experimentieren. Unabhängig von Kopierwerken und den damit verbundenen Wartezeiten kann jeder Schnitt simuliert, leicht verändert und gleichzeitig Bild und Ton bearbeitet werden. Es gibt rasche Zugriffszeiten zum aufgenommenen Material, es ist möglich, mit großen Mengen von Videobändern in der Montage zu arbeiten. Dazu kommen auch die Möglichkeiten der Tricktechnik, das Eingreifen in aufgenommenes Material, das Montieren im Bild, das heißt das Zusammensetzen verschiedener Einstellungen in einem Bild.
Abschlußbemerkungen
In den zwanzig Jahren seit der Einführung der neuen Medientechnologie Video haben sich die ursprünglich viel zu hoch angesetzten Hoffnungen auf eine politische Aktivierung mittels Video relativiert. Die Vorteile und Beschränkungen der Videoarbeit wurden ausgelotet, aus der kontinuierlichen Arbeitspraxis heraus entstand eine realistische Einschätzung, welche spezielle Möglichkeiten für die dokumentarische Filmarbeit durch die Verwendung von Video gegeben sind. Bisher konnten interessante Ansätze unabhängiger Videoarbeit entwickelt werden, was sich auch in der Anerkennung auf internationalen Festivals oder beim Verleih in Österreich dokumentiert. Inwieweit sich diese Ansätze weiterentwickeln können, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie stark unabhängige Film- und Videoarbeit in Österreich öffentliches Interesse findet.
Anmerkungen
1 Roth, Wilhelm: Der Dokumentarfilm seit 1960. München/Luzern 1982.
2 Ebenda, S. 199.
3 Bulletin CICIM Nr. 8. München 1984, S. 4 f.
4 Verleihkatalog Medienwerkstatt Wien. Wien 1983, S. 56.
5 Hübner, Christoph: Das Dokumentarische als Haltung. In: Medium 8/83, S. 36 f.
6 Ebenda, S. 37.
7 Jagschitz, Gerhard, in: Presseheft - Küchengespräche mit Rebellinnen.
8 Rettinger, Carl Ludwig: Videospiel im Fernsehen. In: Kunstforum International Bd. 77/78, Jänner/Februar 1985, S. 157.
9 Klaus Wildenhahn in der TV-Dokumentation: Zwischen den Bildern, Zweiter Teil, Montage im dokumentarischen Film.
In: Dokumentarfilmschaffen in Österreich. Herausgegeben von S. Aichholzer, Ch. Blümlinger, M. Neuwirth, M. Stejskal, 1986.