Lava Flow |
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Cosmic Jive
zu Manfred Neuwirths „lava flow“
Um Elementares kreist das Werk des Wiener Künstlers Manfred Neuwirth unaufhörlich. Erde und Luft scheinen die Grundbausteine vieler seiner Filme zu sein, urwüchsig und ätherisch zugleich; zuletzt drehten sich seine Arbeiten um die ungeahnten Nuancen des Schnees und die Spielarten des Meeres. Nun nimmt er sich das Feuer als Naturschauspiel (im Zusammenspiel mit Stein, Rauch, Boden und Wasser) vor: lava flow ist eine Serie langsamer Überblendungen von Landschaftsansichten rund um einen Magma speienden Vulkan nahe Reykjavik, aufgezeichnet im Mai 2021; mit grafischer Präzision gibt Neuwirth den zähen, reptilienhaften Strom der Lava wieder, ihr durch die Lücken im erkalteten Gestein schimmerndes Feuer, die Gischt der glühenden Eruptionen. Er stellt dabei auf Gegensatzpaare scharf, konfrontiert Wärme mit Kälte, Glut mit Regen, Organisches mit Anorganischem, Nahaufnahmen mit Totalen – und das Dramatische mit dem Alltäglichen.
Denn das Spektakel, von dem Neuwirth erzählt, ist dort, wo es sich ereignet, das Allernormalste: ein zyklisches Programm, ein Vorgang, der sich alle paar Minuten wiederholt. Aber lava flow ist eben weit mehr als bloß das Dokument eines aktiven isländischen Vulkans. Es ist zum Beispiel auch eine – denkbar unprätentiöse – Reflexion zur Lage der Welt: ein Werk des Prä- oder Posthumanismus, eine Studie in Abwesenheit des sogenannten Homo sapiens, der Bericht von einer Zeit jenseits der menschlichen Besiedelung. Das vulkanische Motiv hat somit mythische Obertöne und eine gleichsam „psychedelische“ Ikonografie; auch der von Neuwirths Langzeitkomplizen Christian Fennesz komponierte Ambient-Soundtrack, der wie gewohnt die an den Drehorten gesammelten field recordings des Filmemachers mit einwebt, scheint darauf anzuspielen. Etwas im doppelten Sinne „Kosmisches“ haftet den zart außerirdisch anmutenden Bildern und der an den meditativen Außenposten der Krautrockszene der 1970er-Jahre Maß nehmenden Musik an.
Die sinnliche Kraft dieses Films ist jedenfalls deutlich. Die Bilder beginnen über der in der kalten Luft aufsteigenden Hitze regelrecht zu zittern. Und bei aller Simplizität des Konzepts ist lava flow auch um Rätsel, Mysterien, sogar optische Täuschungen nicht verlegen. Blicken wir aus geringer oder großer Distanz auf diese Landschaften? Und ist die Bildgeschwindigkeit reduziert? Oder sehen Vulkanausbrüche tatsächlich wie Zeitlupenereignisse aus? Wer die Dinge in größtmöglicher Klar- und Einfachheit zu formulieren weiß, wird sich um die Komplexität seiner Ergebnisse kaum Sorgen machen müssen.
Stefan Grissemann