Magic Hour |
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Der Begriff „Found footage“ bezeichnet üblicherweise die künstlerische Arbeit mit bestehendem, von fremder Hand gedrehtem Film- oder Videomaterial. Im österreichischen Grenzgängerkino hat diese Technik des „zweiten Blicks“ eine starke Tradition. Manfred Neuwirth, selbst ein Grenzgänger zwischen Neuen Medien, Dokumentar- und Avantgardefilm, sucht stattdessen nach dem ersten Blick. Ihm geht es um eine noch buchstäblichere Art von „Found footage“ – um Bilder und Töne des Alltags, die nicht gesucht, „gebaut“ und kompliziert bearbeitet sind, sondern die en passant entstehen und dennoch dicht und mitteilungsfähig werden.
Magic hour ist der Abschluss einer – nunmehr abendfüllenden – Video/Film/DVD-Trilogie, die von Tibet (Tibetische Erinnerungen) über Japan (manga train) nach Niederösterreich führt. Der vorurteilslose, nicht-nostalgische Blick auf die Orte, Laute, Geschmäcker der Kindheit und Heimat ist wahrscheinlich noch schwieriger zu fassen als der auf ferne Terrains: Es gibt auch einen Exotismus der Erinnerungsbilder. Doch wenn sich Neuwirth filmend „erinnert“, ans Tischfußballspiel und den roten Plastikteufel vom Kirtag, an Blasmusik und Hubschraubersound, an das Gefühl von Schnee und flackerndem Licht, entsteht eine seltene Balance zwischen dem Archetypischen und dem ganz Gegenwärtigen, Einzigartigen; eine Balance zwischen Traum und Tagebuch.
Dem Ton (surround sound) kommt dabei eine entscheidende Funktion zu. Er dient zur Orientierung und Identifikation einer „Szene“, wenn der Bildinhalt geografisch nicht eindeutig ist. Er erzeugt eine räumliche Spannung, die vom Bild nicht gelöst werden will: einen blinden Fleck der Repräsentation, der diese vom „ganzen“ oder „wirklich gelebten“ Moment bewusst unterscheidet. Das gewohnte Verhältnis der Filmebenen kehrt sich hier um: Der Originalton macht uns ein plastisches Bild von der Welt, die fünffach verlangsamten Bilder produzieren eine Art Fließen, wie man es gemeinhin der Tonwahrnehmung zuschreibt.
In Sans soleil spricht Chris Marker von der „Zerbrechlichkeit dieser flüchtigen Momente, dieser Erinnerungen, die zu nichts anderem gedient hatten, als eben Erinnerungen zu hinterlassen.“ Auch Neuwirth bringt sich und sein Publikum durch „eine bestimmte Farbe auf einer Straße in ein anderes Land hinüber, in eine andere Distanz, in eine andere Musik“, und muss dafür nicht einmal, wie Marker, Sprache oder Text zu Hilfe nehmen.
Einmal sieht man eine Rockmusikbühne von hinten, Trockeneisnebel steigt auf. Jemand singt Abba: I have a dream. Da ist die Zeit halb leer oder halb voll, je nach Neigung des Betrachters. In Japan heißt es über die Menschen der westlichen Welt: „Für sie ist das Gegenteil von reden nicht zuhören, sondern warten.“ Wer in der Traumzeit der magic hour wie gedrängt auf irgendetwas wartet, hat schon verloren.
Alexander Horwath