Scapes and Elements |
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Sinnliche Gewissheit.
Zu Manfred Neuwirths „scapes and elements“.
Eine Serie von fünf Naturpanoramen, fünf lange Blicke in offene Landschaften: Das ist das Angebot, das Manfred Neuwirths „scapes and elements“ zu machen hat. Und man sieht, hört, denkt: Es ist großzügig. Dabei sind Neuwirths Vorgaben streng, Komposition und Timing von großer Präzision. Aus fünf Bildblöcken zu je zehn Minuten Laufzeit ist dieser Film gebaut. Die Position der Kamera ist fixiert, stoisch registriert sie das Geschehen – das Wüten der Naturgewalten ebenso wie die fast befremdliche Ruhe in der Abgeschiedenheit der gewählten Schauplätze.
Die fünf Tableaus sind den Elementen zugeordnet: In Griechenland blickt man aufs Wasser hinaus, in den Schweizer Bergen auf den Schwung und die Textur der Erde; in Island lässt das Feuer, das im Erdinneren lodert, wie im Rahmen einer geheimen Abmachung die Fontänen eines Geysirs hochschießen, und in Spanien wird der Luft die Ehre erwiesen, die unter eisblauem Himmel über einem (und um ein) Observatorium liegt. Die letzte Einstellung bezieht sich auf den Begriff Raum, der in der tibetischen aber auch in der japanischen Kultur als zusätzliches Element gilt: mit einer unwirklichen Winterszenerie in Grau und Weiß, wie von De Chirico erdacht. „scapes and elements“ lotet die Differenz zwischen dem ersten Blick und allen weiteren Sichtweisen aus. Die scheinbare Einfachheit der Durchdringung eines gegebenen Naturbilds entpuppt sich in allen fünf Beispielen als Schimäre, die Ansichten und Abläufe komplizieren sich, werden vielschichtig, schillernd, zusehends schwerer fassbar.
Die „scapes“ des Titels beziehen sich auf die visuelle Ebene, aber auch auf die Tonspur: Zu den landscapes im Bild kommen die soundscapes des Musikers Christian Fennesz, der aus den (am jeweiligen Schauplatz aufgezeichneten) Originaltönen subtil-expressive Klanglandschaften destilliert. Auch seine Arbeit findet im Grenzgebiet von Dokumentarismus und Verfremdung statt: Die anfangs nur minimal umgestalteten Geräusche werden schon ab dem zweiten Segment des Films verdunkelt, in schwelende, dräuende, zuweilen unterschwellig rhythmisierte Musik verwandelt, durchmischt mit dem Gesang der Vögel und dem Eindringen von Menschenstimmen aufs dem Off. Fennesz’ Soundtrack löst sich gegen Ende hin in eine Art synthetisches Rauschen auf, in Minimal Music, die – analog zur Bildebene – bei aufmerksamer Wahrnehmung zunehmend enigmatisch wirkt. Das dunkle Dröhnen der aus dem Alltag gewonnenen Musik scheint an manchen Stellen gar ein Drama anzudeuten, das in den Bildern (oder knapp jenseits der Bilder) verborgen sein könnte. Die Geräusche im Off sind aber auch dort, wo sie weniger deutlich manipuliert wurden, mit dem Sichtbaren nicht immer ohne weiteres in Verbindung zu bringen – das Tropfen, Knacken, Rinnen und Rauschen in der spanischen Episode beispielsweise wirft Fragen auf: Was geschieht jenseits des Bildfelds? Wird da Bauarbeit verrichtet? Woher stammt der durchziehende Rauch? Neuwirth lässt ein paar der Rätsel, die er stellt, wohlweislich ungelöst, hält sich Wege offen, schützt seine Geheimnisse.
„Eine Übung in Sehen, Hören und Konzentration“ nennt Manfred Neuwirth seinen Film selbst – und tatsächlich: Man scheint, während man sich in diese Bild- und Klangwelten versenkt, Filme neu sehen und hören, überhaupt: annehmen zu lernen. Man sieht gleichsam mit neuen Augen: die Wellen, die in der Einstiegsszene an einem grauen Tag an den Strand schlagen und durch das ferne Kreuzen vereinzelter Boote aus dem sanften Schaukeln in kleinere Turbulenzen versetzt werden; eine gebirgige Landschaft, die von einer Eisenbahn und sporadischen Wanderern durchquert wird; die Rauchschwaden, die durch Islands Frostlandschaften und – eine Sequenz weiter – über eine verschlungene spanische Bergstraße ziehen und sich wieder lichten; schließlich die Regentropfen, die im niederösterreichischen Niemandsland das Objektiv besetzen und damit die Sicht zusätzlich trüben, während im Vordergrund leise bewegte Zweige ins Bild hängen und im Hintergrund ein Baum sich in der Unschärfe des Nebels wie ein Trugbild abzeichnet.
„scapes and elements“ ist ein Stück hochempfindliches Kino, das die Schwankungen des Tageslichts protokolliert und akribisch die Metamorphosen der am Himmel dahin ziehenden Wolken vermerkt. Und wenn das Licht über die Landschaft zieht, verändert es die Anmutung des Geländes fundamental, wie in einer weichen Überblendung. Der Dokumentar-Strukturalist Manfred Neuwirth schärft seine Kunst durch die immense Genauigkeit seines Blicks auf die Welt, übersetzt die Vorgaben der äußeren Welt in innere Visionen. Er inszeniert, indem er auswählt, und er stellt etwas her, indem er den Dingen ihre Zeit lässt. Die sinnliche Gewissheit ist die Basis seiner Arbeit. Die Paradoxien und Ambivalenzen, die sich dabei ergeben, sind gesucht: das Zusammentreffen von Eis und Feuer, Schnee und Hitze, Licht und Dunkelheit im isländischen Tableau etwa, in dem die Sonne dramatisch durch die Wolkenmassive dringt. Das jeweils „richtige“ Bild ist für Manfred Neuwirth offenkundig nur eine Frage der Konzentration.
Stefan Grissemann