Snow|Schnee |
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Von Geisterhand
Gondeln, Pistenraupen, Raserei:
zu Manfred Neuwirths Snow/Schnee.
Weiß, könnte man behaupten, ist die Grundfarbe des Kinos: der Glanz der Leinwand vor ihrer Bestrahlung. Manfred Neuwirths Videoarbeit Snow/Schnee beginnt mit Nahaufnahmen jener Texturen, die sich im Weiß verschneiter Landschaften finden: die Spuren, die dem Schnee vorübergehend eingeschrieben sind, die Schatten der Bäume und Zweige, die er reflektiert. Die hellste aller Farben steht für die Unschuld und den Frieden, in manchen Kulturen aber auch für die Trauer (etwa im Buddhismus), für den Tod und die Geister.
Etwas Irreales färbt in Snow/Schnee daher den Lauf der Bilder, wie im Traum folgen sie einander. Eine sich in sanfter Zeitlupe vollziehende Nachtfahrt durch winterliche Landschaft und sanftes Schneetreiben eröffnet – nach dem Prolog – als erste von 23 jeweils dreiminütigen Szenen eine fragmentarische Erzählung, begleitet von minimalistischer Orgelmusik; sie führt von der Einsamkeit einer bewaldeten Straße ins Zentrum eines niederösterreichischen Luftkurorts – der Blick auf die lokale Skipiste beendet die Einstellung, ehe sie ins Schwarz abtaucht. Sie wird die einzige Szene bleiben, die am Ende nicht in Weiß aufblendet.
Distanz hält Neuwirth streng, wirft den Blick eines Außenseiters auf das Ereignishafte des Wintersports, etwa auf den laufenden Ski-Weltcup. Die fernen Durchsagen bleiben unverständlich, ein bloß pathosgetränktes Hintergrundgeräusch, und die erleuchtete Piste des Zauberbergs wird in schwarzer Nacht, vom Parkplatz aus gesehen, zum Szenario eines ungreifbaren Thrillers. Ein Leitmotiv bilden die subjektiven Ansichten von der Bewegung am Schnee: Mit der Rodel rast man vom Licht in die Finsternis, und die knirschende Bewegung eines anonymen Kameramanns, der auf Schneeschuhen durch die Landschaft geht, bildet – ebenso wie die Zeitlupenabfahrt auf einem Snowboard – den nötigen Kontrast zur laut rauschenden Ski-Abfahrt über die eisige Rennstrecke.
Verschiedene Tourismus-Einrichtungen werden wie fremde Phänomene ins Visier genommen: eine Aussichtsplattform mit am Himmel vorbeiziehenden Wolken und wie von Geisterhand bewegtem Fernrohr, zu brausendem Wind; die hölzerne Fassade eines längst geschlossenen Kaufhauses namens „Louvre“; ein beleuchteter Rodeltunnel gähnt als neonfarbenes Loch in die Nacht; vor einer mit – einander konkurrenzierenden – Schlagermusiken beschallten Apres-Ski-Disco herrscht lustloses oder alkoholisiert-ekstatisches Kommen und Gehen; und der Schatten eines Mannes mit an seinem Arm herabhängender Kamera steigt treppauf zu einer Fernsicht-Gelegenheit. Und die Maschinen für den Winterfremdenverkehr laufen, betrieben von Geisterhand: Die Gondeln schaukeln unaufhörlich auf- und wieder abwärts, und eine Schneekanone spuckt ihre Fontäne, während eine einsame Pistenraupe das Weiß eines Hügels präpariert.
Immer wieder entfernt sich das Kameraauge vom Treiben der Menschen, um Naturimpressionen zu sammeln: verschneite Bäume zu idyllischem Glockenläuten; ein langsam über den Himmel treibendes Wolkenkonvolut, durch das die Wintersonne bricht; die nebelige Landschaft, von einer Terrasse aus betrachtet; der Blick in den Wald, in die Baumkronen, das Licht blitzt zwischen den Stämmen auf, nur das Geräusch eines Autos stört die Waldesruh empfindlich; schließlich die Ruhe einer glitzernd weißen Schneewechte im Spiel von Licht und Dunkelheit; ein paar Wanderer streifen, kaum sichtbar, in der Entfernung durchs Bild.
Fast systematisch wird in dieser Produktion, gedreht in der Semmering-Region, das Leben in und mit dem Schnee ausgelotet. Sie ist, wie alle Arbeiten Neuwirths, ein Werk des geschärften Blicks, eine Arbeit, in der Beschleunigung und Verlangsamung subtil gegeneinander ausbalanciert werden. Zur optimalen Rezeption von Snow/Schnee benötigt man ein erstklassiges Tonsystem: Aus field recordings, aufgenommen an den Drehorten, hat Christian Fennesz den mysteriösen, zwischen Dark Ambient, Drones und Musique concrète changierenden Soundtrack komponiert, in dem sich verhallte Schlagermusik mit Gesprächsfetzen und düsterer Atmosphärenmalerei verbindet. Die Menschen sind nur periphere, flüchtige Erscheinungen in diesem mood piece zu Wintersport, Ski- und Alpentourismus, in dieser Studie eines latent gespenstischen Biotops.
Stefan Grissemann