Wossea Mtotom – |
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Eine ungewöhnliche Dokumentation über ein ungewöhnliches Projekt. In Wiltz (Luxemburg) gestalten Künstler und Behinderte gemeinsam einen öffentlichen Garten. Während eines halben Jahres gemeinsamen Lebens und Arbeitens entsteht in dieser kleinen Gesellschaft eine ganz besondere Atmosphäre. Der Film widmet sich der freundschaftlichen Stimmung und den vielfältigen Beziehungen innerhalb dieser äußerst lebhaften Gruppe. WOSSEA MTOTOM dokumentiert diese Zusammenarbeit als lose Folge von Momentaufnahmen, die das gelassene Zusammenspiel der Gruppe unterstreichen und über mehrere Monate entstanden sind; und als Versuch, das Medium Video weniger als Dokumentations- denn als Kommunikationsmittel zu gebrauchen. „Kein Bericht über das Projekt”, wie die Realisatoren schreiben, „sondern ein Teil desselben”.
Von Anfang an bewegt sich die Kamera auf vertrautem Territorium (dafür sprechen nicht nur die zahlreichen komplizenhaften Blicke in die Kameras und die kaum forcierten Inszenierungen); den Rhythmus des Films prägen lange, geduldige Beobachtungen: Ein Kartenspiel gerät so zur detaillierten Studie der Spieler-Charaktere; das morgendliche Aufstehen zum charakteristischen Ritual; die zahlreichen Unternehmungen, die neben der eigentlichen Gestaltung des Parks (Skulpturen, Erdzeichnungen, Wege anlegen) stattfinden, werden durch Montage und Musikeinsatz zu filmischen Happenings. Das Spiel als Prinzip der Inszenierung steht auch bei der filmischen Bearbeitung des „dokumentarischen” Materials im Vordergrund.
Dies gilt nicht zuletzt für den Einsatz der Kamera: So wie ein Meißel gebraucht wird, um auf dem Gelände eine Figur aus dem Sandstein zu schlagen oder ein Staubsauger umfunktioniert wird in einen symbolischen Flugzeugantrieb, bekommt auch die Kamera den Status eines einfachen Werkzeugs. Am deutlichsten in jenen Bildern, die „ungewollt” entstanden sind, „ungelenke” Versuche der Behinderten selbst, eine Art „Gegenschuss” auf die Männer und Frauen hinter der Kamera, den Entstehungsprozess des Videofilms unmittelbar dokumentierend. WOSSEA MTOTOM zielt auf die Relativierung der Hierarchien zwischen Filmern und Gefilmten: Ein kurioser Dialog um die richtige Schlagstelle an einer Steinskulptur, ausgelöst durch das anarchistische Frage-Repertoire des wortgewaltigen Roland, zeigt die fließenden Grenzen des „pädagogischen” (und sich des öfteren umkehrenden) Verhältnisses und ein holprig in Szene gesetzter Namenstag zitiert den Kameramann selbst ins Bild, als er aufgefordert wird, dem Jubilar gefälligst auch die Hand zu schütteln.
WOSSEA MTOTOM macht dem Zuschauer die kleine Gruppe in kurzer Zeit vertraut, wenige Szenen verdichten sich zu präzisen Porträt-Miniaturen; die Vorlieben, Talente und Ängste der Einzelnen werden sichtbar gemacht, ohne die Porträtierten darauf zu reduzieren, bloße „Typen” oder lediglich interessante „Figuren” zu sein. Selbst in jener Szene, kurz vor Schluss, die am ehesten, „rein dokumentarisch” gehalten ist, wird die Kamera nicht zur insistierenden Reportage-Maschine, sondern behält ihre Position des unmittelbar Beteiligten. Ebenso überrascht vom plötzlichen Konflikt, von der Intensität, mit der die Gefühle der Furcht, Aggression und Reue ausgelebt werden, wird hier nicht das Sensation gewohnte Auge bedient: Keine exemplarische Szene, die eine gesicherte Erkenntnis über Therapie-Ansätze vermittelt, sondern ein eindrückliches Zeugnis dafür, dass es nicht um die Beschreibung von „Behinderungen”, sondern um ein anderes Maß der Wirklichkeitserfahrung geht: Die Haut Jeans ist, buchstäblich, nur etwas dünner und sein Vokabular individueller, um den alltäglichen Verletzungen zu begegnen.
Constantin Wulff